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jeder Etiquette, jedem Ceremonie!! auf das tiefste abgeneigt. Er kannte keine Zerstreuung,
außer daß er abends kleine Hausconcerte veranstaltete, bei denen er Violoncello oder Viola
spielte. „Seine Toilette", schreibt einer seiner Reisebegleiter (1769), „ist die eines Soldaten,
seine Garderobe die eines Unterlieutenants, seine Erholung Arbeit, sein Leben beständige
Bewegung."
Mit der größten Spannung wurde der Regierungsantritt Josefs II. begrüßt. Friedrich
der Große sagte: „Die Kaiserin ist todt; eine neue Ordnung der Dinge beginnt." Und das
war wirklich der Fall. Mit strenger Consequenz ging Josef daran, die Doctrinen der Zeit
auf die Länder zu übertragen, zu deren Alleinherrscher ihn der Tod seiner Mutter gemacht.
Durch die Anwendung jener Doctrinen sollten die Länder zu einem Ganzen verschmolzen
werden und sich als solches fühlen lernen. Aus ihrem Zusammenwirken sollte der Gesammt-
staat Österreich hervorgehen.
Im Grunde war dies auch Maria Theresias Absicht gewesen. Auch sie wollte ein
großes, starkes und mächtiges Österreich. Aber an zwei Punkten gingen die Wege Josefs
und seiner Mutter auseinander. Mit echt weiblichem Tacte, langsam und allmälig hatte
Maria Theresia das große Ziel der staatlichen Einheit zu erreichen gesucht, und sie erreichte
viel, weil sie das Neue mit behutsamer Schonung dem Überlieferten einzufügen verstand.
Josef hingegen, als hätte er geahnt, daß ihm, da er erst im vierzigsten Lebensjahre zur
Regierung kam, nur eine kurze Spanne Zeit zur Durchführung seiner Neugestaltung des
Staates gegönnt sei, nahm die Reformen mit einer Hast in Angriff, die alles Bestehende
in Frage stellte und eine unbeschreibliche Gähruug in allen seinen Landen hervorrief.
Dazu gesellte sich noch ein zweites Moment. Maria Theresia hatte dadurch, daß sie die
ungarische Verfassung im Ganzen unverändert fortbestehen ließ und nur die westliche
Reichshälfte zu einem einheitlichen Ganzen verschmolz, die später immer deutlicher hervor-
tretende dualistische Staatsform begründet, während man Josef mit Recht von jeher als
den Verkünder des österreichischen Einheitsstaates betrachtet hat, in dem eine Verfassung,
eiw Nationalität, eine Gesetzgebung herrscheu, die Einwohner gleichberechtigt sein und
durch Bildung, Blüte der Industrie und des Handels zu Wohlstand gelangen sollten.
Josef war Centralist. Auch Maria Theresia hatte centralisirt; aber sie hatte wenigstens
die Hauptformen der Verfassung nicht angetastet, so sehr sie auch im Einzelneu die Rechte
der Stände einzuengen bedacht war. Im josefinischen Einheitsstaate dagegen gab es für
die besonderen Rechte und Freiheiten der einzelnen Länder keinenRanm. Daher unterblieben
nicht nur die Erbhuldigungen der österreichischen Lande, sondern auch die Krönungen in
Ungarn und Böhmen. Die Stefanskrone wurde (1785) nach Wien in die Schatzkammer
gebracht, wie dies früher mit der böhmischen Krone und dem österreichischen Herzogshute
geschehen war. Alle ständischen Versammlungen, mit Ausnahme der zur Steuervertheilung
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Volume 3
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Volume
- 3
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.64 x 22.39 cm
- Pages
- 278
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch