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gerufen. Das Toleranzpatent galt für sämmtliche Länder mit Ausnahme Ungarns, für
das entsprechend der anderartigen Stellung der dortigen Protestanten ein besonderes
Patent erfloß.
Auch das harteLos der Juden hat der menschenfreundliche Kaiser mehrfach erleichtert,
so wie er später den Mennoniten nnd Herrnhntern, um das neuerworbene Galizien zu
cultivireu, erlaubte, sich daselbst niederzulassen. Dagegen trat er mit großer Strenge der
Bildung neuer Secten, wie der sogenannten böhmischen Deisten, entgegen.
Es wäre daher durchaus falsch, wollte man die erwähnten kirchlichen Reformen so
wie seine Bestrebungen, kirchliche Mißbräuche abzustellen, aus Irreligiosität oder Jndiffe-
rentismns ableiten, wie häufig dies auch geschehen sein mag. Josef war kein Freigeist
wie Friedrich II.; ihn haben die großen philosophischen Fragen der Zeit weniger nach
ihrer metaphysischen Seite als vielmehr in ihren Consequeuzeu für das staatliche Leben
beschäftigt. Josef hielt, wie seine Mutter, an der katholischen als an der „dominanten"
Religion fest, und es war ihm gewiß Ernst, wenn er gelegentlich äußerte, er würde Alles,
was er besitze, darum geben, wenn sämmtliche Protestanten seiner Staaten zum Katholicis-
mus übertreten würden. Auch hätte ja in der That die Einheit des Glaubens am besten
zu seinem Streben nach Einheit der staatlichen Lebensformen gepaßt. Da dies nun aber
einmal nicht zu erreichen war, so ergab sich von selbst der Schluß, daß die Religion,
wenigstens im bürgerlichen Leben, keinen Unterschied machen dürfe. Dazu gesellten sich die
volkswirthschaftlichen und politischen Interessen, welche das von seinen Vorfahren völlig
abweichende Verhalten Josefs gegenüber den Protestanten bestimmten. Josef wünschte vor
Allem aus den Protestanten, welche in einer damals noch nicht vergessenen Zeit die Seele
jeder Opposition im Staate gewesen waren, gute und zufriedene Unterthanen zu machen;
er hoffte zugleich fremde Protestanten ins Land zu ziehen, die durch ihren Fleiß dem
Landbau und der Industrie sich nützlich erweisen sollten.
Waren es aber auch vor Allem Erwägungen dieser Art, welche Josef als Richtschnur
für sein Verhalten gegen die Protestanten dienten, so wirkte er doch auch in diesem Falle
im Dienste jener humanen Richtung der Zeit, der er sich rückhaltlos anschloß. Wohl zeigte
sich Josef manchmal auch hart, aber diese Härte floß nicht aus seinem Herzen, das ja
so warm für das Wohl der Mitmenschen schlug. Seine Härte war eine Folge jenes
Fanatismus, von dem er, nach seinen eigenen Worten, für das Wohl des Staates erfüllt
war; sie war eine Folge jener Philanthropie, welche die Menschen selbst gegen ihren Willen
zu beglücken wünscht. Von dieser Idee der Humanität zeigte sich Josef stets erfüllt, sie ist
es, die sein ganzes Wesen und Wirken verklärt nnd erklärt. Schöpfungen der edelsten Art,
wie das Taubstummeninstitut und das allgemeine Krankenhaus in Wien, Armen- und
Waisenhäuser, Versatzämter und dergleichen geben von diesem menschenfreundlichen Sinne
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Volume 3
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Volume
- 3
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.64 x 22.39 cm
- Pages
- 278
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch