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Vorwort
voneinander. Wo in der fragmentarischen Fassung VA2/TS7/A4 der „Zauberposse“ Ka-
simir (Kratler) im Zentrum steht und Karoline, Rosa sowie Merkl Franz die Nebenrol-
len besetzen, kreist das spätere „Märchen“ in der Endfassung (K1/TS7/A2) um die
Sängerin Luise Steinthaler und den „Hilfsregisseur“ (K1/TS7/A2/SB Bühnenverlag
1934, S.10) Lauterbach; Nebenrollen spielen Petrus und der Teufel, die jedoch in den
Szenen im Himmel und in der Hölle in den Vordergrund treten.
Am14. September 1933 hat Horváth in einem Interview mit derWiener Allgemei-
nen Zeitung, das eigentlich zuHin und her geführt wurde, Folgendes über sein „neues
Stück“ erklärt:
Mein neues Stück soll eine Märchenposse werden, aber ohne Zauberei. Ich halte die Form der
Märchenposse gerade in der gegenwärtigen Zeit für sehr günstig, da man in dieser Form sehr vie-
les sagen kann, was man sonst nicht aussprechen dürfte…3
Die Passage bezeugt nicht nur Horváths prinzipielle Suche nach literarischen Gat-
tungen, die die Zensur unterlaufen, sondern auch sein kritisches Zeitgenossentum.
Außerdem lässt sich durch diese Zeilen belegen, dass Horváths Arbeit am „Märchen
in zwei Teilen“ Himmelwärts zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, aber
bereits im Gange war, was die vorgenommene Datierung der Arbeit am eigentlichen
Werkprojekt (K1) stützt. Dass er in dem Interview noch von einer „Märchenposse“
spricht, unterstreicht den Bezug des Werkprojekts zu den Vorarbeiten, in denen fast
durchgängig von einer „Zauberposse“ die Rede war. Die Verkürzung des Gattungsti-
tels zu „Märchen“ ist offensichtlich erst sehr spät erfolgt. Der Nachsatz „aber ohne
Zauberei“ vollzieht jedoch bereits eine deutliche Selbstdistanzierung vom früheren
dramatischen Werkprojekt, der Zauberposse Himmelwärts. Literaturgeschichtlich
betrachtet nimmt Horváth mit seinem „Märchen“ zwar Anleihen beim Zaubermär-
chen eines Ferdinand Raimund, transferiert dieses aber in seine (dramatische) Ge-
genwart.
Am30.Oktober 1933 berichtet der Autor dem Dramaturgen und Filmproduzenten
Rudolph S. Joseph, er stecke „zur Zeit in einer überaus dringenden Arbeit“, „weil ich
Geld brauch zum schlafen. Und zum essen. Und zum trinken. Und für den Zahnarzt.
Mit einem Wort: Sorgen“.4 Der Hinweis auf den Zahnarzt legt mit einiger Sicherheit
die Fährte zu dem Werkprojekt Himmelwärts, in dem der Hilfsregisseur Lauterbach
wiederholt von starken Zahnschmerzen geplagt wird.5 Wahrscheinlich ist mit der im
Brief erwähnten „dringenden Arbeit“ also dieses Werkprojekt gemeint, an dem Hor-
váth somit im Oktober 1933 noch arbeitete. Weiters kann aus diesen wenigen Zeilen
geschlossen werden, dass der Autor das Werkprojekt aus kruder materieller Notwen-
digkeit schrieb. Aus dem Brief an Rudolph S. Joseph wird auch ersichtlich, dass die
Arbeiten an Eine Unbekannte aus der Seine zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlos-
sen waren, während Horváth an den „Verserln“ zuHin und her noch zu „schwitzen“
hatte.6 Über die Unbekannte schreibt der Autor, dass sich an diese „Komödie“ „in-
folge ihrer […] abgrundtiefen Pessimität […] kein Theaterdirektor herantraut“.7 Die
3 Anonym: Oedön von Horváth über sein neues Stück. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 14.9.1933.
4 Brief Ödön von Horváths an Rudolph S. Joseph vom 30.Oktober 1933, zitiert nach dem maschi-
nenschriftlichen Original im Deutschen Exilarchiv, Frankfurt am Main, EB96/111– B.01.0082.
5 Vgl. K1/TS7/A2/SB Bühnenverlag 1934, S. 10, 12, 28 und 71f.
6 Brief Horváths an Joseph (Anm. 4).
7 Ebd.
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Volume 1
- Title
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Subtitle
- Historisch-kritische Edition
- Volume
- 1
- Author
- Ödön von Horváth
- Editor
- Klaus Kastberger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 338
- Categories
- Weiteres Belletristik