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270 Lesetext
(Stille)
FRAU STEINTHALER Sie war halt immer schon ein bisserl leichtsinnig. Das arme
Kind! Was wird sie jetzt leiden müssen! Betteln und hungern. Sie hat doch nichts
ghabt außer ihrer Naturstimm – (Sie schluchzt.)
ST. PETRUS (etwas verärgert) Schon wieder? Schon wieder klagen?!
FRAU STEINTHALER (rafft sich zusammen.) Nein! Ich werd mich jetzt melden um ein
bisserl Gnade für mein Kind. Und ich werd schnell bitten, denn die Zeit vergeht
rasch auf Erden – (ab durch das Himmelstor)
(Dunkel)
VII.
Auf der Erde.
Billiges Café mit Nische. In der einen beschäftigt sich ein Liebespaar mit sich selbst,
in einer anderen sitztLUISE, arm und krank; sie beendet soeben einen Brief.
LUISE (liest sich ihren Brief halblaut durch.) „Knapp vor meiner langen Reise in die
Ewigkeit – – und so bitte ich die Polizei, nicht nachzuforschen, wer ich war. Ich
hab schönere Tage gesehen“ – Ja: schönere Tage – (Sie ruft.) Zahlen! Zahlen!
LAUTERBACH (kommt; er lebt nun nämlich als Kellner.) Zahlen, bitte?
LUISE Einen kleinen Kaffee und eine Mohnsemmel.
LAUTERBACH Und das Briefpapier.
LUISE (lächelt verlegen.) Richtig, das hab ich vergessen –
LAUTERBACH Siebenundachtzig.
LUISE (sucht lange, findet nichts.) Oh Gott im Himmel, jetzt hab ich mich geirrt!
LAUTERBACH Aha!
LUISE Ich dacht, ich hätt noch was.
LAUTERBACH Das kennen wir schon.
LUISE Und wenn Sie mich auf den Kopf stellen – (Sie will sich erheben.)
LAUTERBACH Halt! Ich werd Sie nämlich nicht auf den Kopf stellen – Dageblieben!
Bis die Polizei – (ab)
LUISE (nach einer kurzen Pause) So laßt mich doch fort! So stellt mich doch auf den
Kopf! Ich mag ja nicht mehr! (Sie beugt sich über die Tischplatte und weint.)
(Während des folgenden wird es auf der Erde nicht dunkel.)
VIII.
Im Himmel.
Der AUTOGRAMMJÄGER sitzt auf einem Wölkchen, natürlich bereits beflügelt (und
zwar in grau). Neben ihm steht seine Truhe, und er ordnet gerade einen Haufen Au-
togrammzettel.
AUTOGRAMMJÄGER Heut hab ich also den Gabriel, den Uriel, die Maria Theresia,
Schumann, Schubert – Schad, daß der Cesare Borgia in der Höll sitzt, hätt gern
ein Autogramm ghabt! (Er sieht sich um, weil er Schritte hörte.) Himmel, der Ju-
lius Caesar!
JULIUS CAESAR (geht vorbei.)
AUTOGRAMMJÄGER Ave Caesar! Ich bitt um ein Autogramm!
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45 Himmelwärts Endfassung, emendiert
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Volume 1
- Title
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Subtitle
- Historisch-kritische Edition
- Volume
- 1
- Author
- Ödön von Horváth
- Editor
- Klaus Kastberger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 338
- Categories
- Weiteres Belletristik