Page - 21 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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disziplin dieFeder führen. JedeFaser vibrierte in uns, alsdieBatterie
vor dem Hause alarmiert wurde und unter Gesang und Gejohl der
Bedienungskanoniere aufs Gefechtsfeld fuhr. — Da— ein starker
Windhauch ließ einenKanonenschlag besonders deutlichvernehmen—
und wie vom elektrischen Schlage berührt, sprangen wir auf. Aller
Rufe der Offiziere und Unteroffiziere nicht achtend, stürmten wir
den Schloßberg hinan, um zu sehen, und dunkel schwebte uns der
unsinnige Gedanke vor, auch mitzutun, wir, die waffenlosen Knaben!
Oben angelangt, sahen wir nur Kanonenblitze und Rauchlinien, da
das am gegenübergelegenen Donauufer befindliche Gefechtsfeld von
unserem Standpunkt 12 Kilometer entfernt war. Doch unsere Phan-
tasie ließ uns Infanteriekolonnen und Reiterattacken schauen, und
jeder erblickte etwas ganzBesonderes und überbot seinen Nachbarn,
Der Kommandant machte gute Miene zum unerwünschten Spiel,
fand sich bei uns ein und beobachtete mit einem Fernrohr die teil-
weise imaginären Gefechtsszenen.
Die Mittagsglocke brachte uns in die Säle zurück, und da wirvom
,,Abblasen des Gefechtes" keine Kenntnis hatten, arbeitete unsere
Phantasie weiter, bis die vom Gefechtsfeld rückkehrende Batterie die
Kunde brachte, daß Gefecht und Krieg beendet seien!
Dieses kriegerische Intermezzo wurde durch die Urlaubsfahrt be-
endet, die quer durch Landstriche ging, die vom Feinde noch be-
setzt waren. Preußische Wachtposten auf allen Bahnhöfen und Ob-
jekten. Als ich dann, 48 Jahre später, als Armeekommandant nach
Galizien fuhr und die durch unsere Landsturmtruppen bewachten
Bahnlinien sah, kamen mir die Bilder von einst in lebhafte Erinne-
rung. Nur mußten wir in diesem Falle auch an die Einwirkung
feindlicher Flieger denken, wasAnno 1866 nicht einmal dem kühnsten
Schwärmer in den Sinn gekommen wäre.
Der Prager Friede^) wurde zum Abschluß gebracht, und seine Be-
dingungenwurden inden breitenSchichtensehrgünstigaufgenommen,
1) Meiner Ansicht nach bedeutete der Prager Friede den Gipfelpunkt Bis-
marckischer Staatskunst. Seine Selbstbeschränkvuig während der Nikolsburger
Verhandlimgen, der Titanenkampf, den er dabei gegen alle anderen chauvi-
nistischenReichspotenzensiegreich führte—mitdemeinzigenZweck, Österreich
zu schonen und zu erhalten,um es später für gemeinsameZiele zu gewinnen— ,
ist wohl die vmübertreffliche Quintessenz diplomatischer Emsicht und Kirnst.
Nur die poUtische Kraft der Deutschen in Österreich mid Ungarn sowie den
Willen, diese Kraft zu gebrauchen, hatte er vielleicht überschätzt vmd das
zentrifugale Bestreben aller anderer Nationen imterschätzt. Der Staatsmann
wurde eben nie geboren, der die inneren Kräfte der Monarchie in ihren dis-
paraten, bald schaffenden, bald zerstörenden, einander nivellierenden, oft
ganz unverständhchen Bestrebvmgen voll erfassen, geschweige denn nach
einem einheitüchen Ziel zu dirigieren verstanden hätte.
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918