Page - 30 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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luLembergresidiertedamalsGrafGoluchowski, derfrühereMinister,
als kaiserlicher Statthalter. Er war der Typus des altpolnischen,
selbstherrlichen Aristokraten, der bei Hof das größte Ansehen genoß
und infolge seines außerordentlichen Reichtumes im Lande eine
überragende Stellung einnahm. Er fühlte sich mehr als kaiserlicher
Satrap denn als Statthalter — mehr als Vizekönig denn als oberster
Beamter. Unter solchen Auspizien machte die Polonisierung die kräf-
tigstenFortschritte,und die deutscheOberschichtsowiedieruthenische
Unterschicht wurden bald gänzlich zur Seite geschoben.
Mein Vater war in jener Zeit meist gedrückter Stimmimg. Er
galt als deutsches und zentralistisches Element, und dies erschwerte
seine Position. Er sollte einerneuen Richtung folgen, von der früheren
aber doch nicht gänzlich und nicht plötzlich abschwenken, denn
man hoffte im geheimen noch immer, daß es sich i^ Wesen nurum
die Änderung der Firmatafel, und nicht um jene der Firma selbst
handeln würde. Und auchnach oben hatte mein Vater einenschweren
Stand. Dasneue freiheitlicheSystem erbrachte einenewigen Personen-
wechsel. Jedes halbe Jahr änderte sich die Ministerliste. Das deutsch-
freiheitliche, das Konkordat stürzende Bürgerministerium und das
klerikal-föderative Ministerium Hohenwart umrahmten knappe vier
Jahre! Die oft ganz jugendlichen Eintagsminister, aus parlamen-
tarischer Konstellation geboren, ohne praktische Erfahrung, kamen
in Widerstreit mit den langgedienten hohen Beamten, die sich nicht
immer rasch fügen wollten. Auch die bürgerliche Freiheit, die oft
an Gesetzeslosigkeit streifte, verdroß den Vertreter strammer Ord-
nimg. Und als er einmal amtlich um seine Meinung in der Frage
einer noch größeren Preßfreiheit interpelliert wurde, antwortete
er: ,,Ja, doch dann müßte man den Gesetzesparagraph, der bei
Straffällen die Straflosigkeit begründet, um den einen vermehren:
,Vergehen, die durch die Presse begangen werden!'" Damals jubelte
ich ihm freudig und gläubig zu. Später belehrte mich das Leben in
mancher Hinsicht eines anderen.
Im 4. Jahrgang— Herbst 1870— dominierte das Reiten in unserm
Tun und Lassen, was auch bei der Regimentswahl zum Ausdruck
kam. Alles drängte zur Kavallerie — natürlich auch ich. Doch
mein Vater legte ein Veto ein.
Die kriegerischen Ereignisse in Frankreich verfolgten wir auf
Grund unserer nun mit Ernst einsetzenden militärischen Studien,
und die Lehrer holten mannigfache Beispiele aus den Geschehnissen
jener Tage. Kriegerische Vorkommnisse lassen sich zu den verschie-
densten, oft diametral entgegengesetzten Beweisführungen ver-
werten. Doch damals waren wir noch gläubig. Ich besonders, denn
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918