Page - 36 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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also germanisierenden Sinne. Und auch die deutschösterreicliische
Journalistik zog die Bildung und Intelligenz des Offizierskorps herab
und nannte den Sinn der Armee sklavisch.
Das Offizierskorps war überdies finanziell ungünstig situiert. Die
Gageregulierung vom Jahre 1870 hatte keine erhebliche Remedur
gebracht, und da die Periode des, wenngleich teilweise nur fiktiven
volkswirtschaftlichen Aufschwunges begonnen hatte, wurde aus dem
Zudrang zur Armee bald ein Abfluß, der der Kriegsverwaltung die
ernsteste vSorge bereitethaben mochte. Viele flüchteten in die einträg-
liche Zivilkarriere, der Nachwuchs hörte allmählich auf, und man
mußte letzten Endes sogar auf die Rekruten Jagd machen, ob sich
unter ihnen nicht etwa halbwegs geeignete Individuen fänden, die
sich dem Militärstande widmen wollten.
Diese betrüblichen, sich in der Öffentlichkeit abspielenden Ver-
hältnisse trugen wenig dazu bei, das Ansehen des Offiziers auf der
Höhe zu erhalten. Das berühmte ,,zweifarbige Tuch" hatte damals
seinen Zauber gänzlich eingebüßt.
Die Offiziere lebten daher meistens zurückgezogen. Und da noch
keine kameradschaftlichen Institutionen, keine Offiziersmessen be-
standen (ein Zeichen mangelnder Organisation), gab es keinen rechten
Zusammenschluß. Die renommierte österreichische Kameradschaft
stand damals auf einem Tiefpunkt. Bei der großen Differenz, die die
Offizierskorps untereinander und in sich selbst aufwiesen, koimte
ein warmes, auf gegenseitiges Vertrauen gegründetes Gemeinschafts-
leben schwer aufkommen. Die österreichische Gemütlichkeit— zum
großen Teil Sorglosigkeit—, die Freude an Alltagsgenüssen, die sich
bei der angeborenen und anerzogenen Bescheidenheit nur in ganz
engen Grenzen bewegen durften, schufen wohl ein friedfertiges Neben-
einandersein. Auch gegenseitigeHilfeleistungen— Borgen, Gutstehen
— waren im Schwünge. Das berühmte österreichische Duwort gab
demGanzen eine äußerlicheGemeinsamkeit und nivellierte die großen
Diskrepanzen. Ein Gleichheitsbewußtsein wurde dadurch gefördert,
das in erster Linie die niederen sozialen Schichten im Offizierskorps
schützen sollte. Mit der zunehmenden Größe des Heeres und dessen
Ausgestaltung zum Volksheer, in dem das Reserveoffizierskorps
einen großen Faktor darstellte, schwand dann der Wert dieses Fer-
ments und fand auch vielfache Gegnerschaft.
Die fachliche und sonstige Weiterbildung des Offiziers war nicht
genügend. Es gelangte wohl im Winter und Sommer je ein taktisches
Thema— oft mit fraglicher Grundlage— zur Ausarbeitung, der
man aber wenig Bedeutung beimaß. Ab und zukam es zu Vorträgen,
deren Ende man mit ergebungsvoller Geduld abwartete. Trotzdem
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918