Page - 40 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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die nötigen Fähigkeiten besaß und die Zeit nützte, konnte sich für
seinen Beruf, besonders aber für seine Fortbildung, ein in jeglicher
Hinsicht ausreichendes Wissen aneignen.
Mit der militärischen TheorieunddemStudium in den militärischen
Anstalten ist es allerdings eine eigene Sache. Hierzu gehört vor
allem eine Reihe von Hilfswissenschaften: Mathematik, Naturlehre,
Geographie und Geschichte. Diese exakten Wissenschaften bilden
die Basis für alle anderen Fächer und ein unersetzliches Mittel zur
Gedankenkonzentration. Dann gibt es eine Reihe militärischer Diszi-
plinen, die auf den exakten Wissenschaften basiert sind: Terrain-
aufnahme, Waffenlehre, Artillerielehre und Ballistik, Fortifikation,
Brücken- und Kommunikationswesen mit den zahlreichen Verzwei-
gungen. Schließlich kommt die Gruppe der rein militärischen Fächer,
die sich auf Truppen- und Kriegsführung, Taktik und Strategie be-
ziehen.Das sind wohl, fastmöchtemansagen, ,,leider"—keineexakten
Wissenschaften. Sie bauen sich darauf auch nur zu geringem Teile
auf, basieren eher auf Psychologie. Daher ist es immer schwer, die
richtige Grenzlinie einzuhalten zwischen einem allgemeinen nebulosen
und eigentlich nichts fruchtenden Theoretisieren und dem Doktri-
narismus, der meist in Formalismus ausartet und eine gegebene
taktische oder strategische Situation mittels eines Rezeptes lösen
möchte, das im Ernstfälle immer versagt. Die Führung der Truppen
oder gar der Heereseinheiten ist— vom Hauptkoeffizienten ,,Glück"
abgesehen— zum guten Teil Sache desCharakters oder,wie Napoleon
sagte, ,,Sache des Taktes". Was aber den geistigen Teil anbelangt,
ähnlicher einer Kunst als einer Wissenschaft! Taktik und Strategie
sind dem Wesen nach ErfahrungsWissenschaften, die sich in erster
Linie auf das Gewesene aufbauen. Jeder Krieg bringt aber neue
Erscheinungen, denen sich die Handelnden sofort anbequemen
müssen. Die Theorie verwertet sie wohl erst später, für die unmittel-
bar Beteiligten meist zu spät. Darin liegt die Achillesferse aller
militärischenTheorienund die Begründung, daßglänzende Theoretiker
in der Praxis oft gänzlich versagen. Doch ebensowenig wäre mit der
einfachenEmpirikgedient. Esmüsseneben beideHand inHandgehen.
Als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis— Gedanke und Aus-
führung — ist die ,,Generalstabstechnik" anzusehen, die bei uns
den Namen ,,operativer Generalstabsdienst" führt. Sie ist eine
wichtige Hilfswissenschaft und wurde bei uns nach dem System
des Generals Gallina stets mit großem Eifer betrieben. Allerdings
— wenn man aufrichtig sein will— nicht mit dem gleichen Erfolg.
Die Maschine ging nicht so reibungslos, als dies zu wünschen ge-
wesen wäre.
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918