Page - 56 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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lyemberg schon vollkommen polonisiert war, gab es unter der wohl-
habenden Bürgerschaft doch noch viele deutsche Reste aus der frü-
heren Zeit. Sie schlössen sich mit den zahlreichen Offiziersfamüien
und jenen der höheren Beamten zusammen und bildeten den Verein
,,Frohsinn", der seinem Namen alle Ehre machte.
Die eigentliche polnische Gesellschaft, zumal der Adel, war ex-
klusiv. Im Salon des Statthalters von Zal^ski kam es wohl zu einem
lebhafterenKontaktzwischen der polnischen Aristokratie, denhöheren
MilitärkreisenunddenOffizierender Kavallerie. Gleichwohlwurdensie
vondenPolendochimmeralskaumebenbürtigeFremdeangesehen.Daß
die Polen sich damals schon der kaiserlichen Gunst inhohemMaße er-
freuten, änderte ihr Verhalten in keiner Weise. Und so : viel fordernd
und erhaltend, aber äußerst wenig bietend, blieb ihr Verhalten stets.
Eine Folge der drohenden russischen Komplikationen war es, daß
in dasLand eineUnsumme Staatsgelder floß, diezum direkten Schutz
des Landes und zur Verbesserung der Aufmarschverhältnisse, Forti-
fikations- und Kommunikatiousbauten, namentlich von Eisenbahnen,
verwendet wurde. Diese Millionen gefielen den Polen, vor allem
den meist jüdischen Unternehmern sowie der adeligen Szlachta. Be-
sonders letzterer gaben sie Gelegenheit, ihre zerzausten Wirtschaften
zu ameliorieren oder ihr lustiges Leben in Paris oder Warschau fort-
zusetzen. Doch einen Dank, einen politischen Dank, hat Österreich
dafür nie geerntet. Die Wiederaufrichtimg Polens schwebte jedem
einzelnen als unverrückbares Ideal vor, dagegen war alle Lieb imd
Müh und selbst jede kaiserliche Gunst umsonst.
Im Sommer 1883 nahm ich an einer Generalstabsreise in Mittel-
galizien teil, und die Orte, die 31 Jahre später im Weltkrieg so oft
genannt wurden: Grodek, Lubaczow, Krakowiec, Radymno, Jaros-
lau, Przemysl usw. spielten damals bei unseren theoretischen Er-
örterungen eine große Rolle. Ich erinnere mich des Detaüs, daß sich
auf einem der vielen Kopec (Hügel) östlich des San ein weit sicht-
bares Trigonometerzeichen befand. Damals erwähnte ich, daß ein
Verteidiger es sofort niederlegen müßte. Und siehe, 31 Jahre später
stand es noch und tatsächlich war ich es, der es abbauen ließ, da ich
anfänglich unsererseits an eine indirekte SanVerteidigung dachte. "
Nach Scliluß der theoretischen Arbeiten vollführten wir im Bei-
sein des Herzogs von Württemberg einen Distanzritt nach Ungarn
über den später so berühmt gewordenen Uszokpaß und zurück nach
Galizien über den nicht minder oft genannten Vereczkepaß. Wir
sahen dabei viel Elend, viel Schmutz und Unkultur, die sich bei der
ungünstigen Witterung nur noch deutlicher präsentierten. In dieser
Richtung wurde seit Generationen auf beiden Seiten des Karpathen-
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918