Page - 119 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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brach auch das Motiv zusammen, das den Grund zur militärischen
Besetzung des Sandzak gegeben hatte. Denn es erübrigten nur mehr
die Nachteile, diemit einerkondominalen Besetzungverbunden waren.
Der belangreichste davon bestand darin, daß die schwache, zerstreut
dislozierte Besatzimgsbrigade fortwährend einem Ungefähr ausgesetzt
blieb. Man denke nur, 5 Bataillone mit einem Feuergewehrbestand
von höchstens 3000 Gewehren inmitten einer Bevölkerungvon zweifel-
hafter und wechselnder Gesinnung, die sich gegebenenfalls auf eine
eigene Kraft von mindestens gleicher Stärke zu stützen vermochte.
Das Ganze eng umfaßt von zwei Nachbarn, deren feindliche Be-
strebungen wohl nicht bezweifelt werden konnten. Der nächste
Eisenbahnpunkt, Sarajewo— vier Tagesmärsche entfernt— ! Dazu
kostete die fragwürdige Ehre, ,,Wacht am Lim" zu stehen, ein un-
verhältnismäßig hohes Geld, das man weit besser zur Konsolidierung
der bosnischen Verhältnisse hätte verwenden können. Der Umstand,
daß während der dreißigjährigen Besetzimg des Sandzak sich nie
bemerkenswerte Zwischenfälle ereignet hatten, mußte als besonderer
Glücksfall gewertet werden. Immerhin wäre es eine Sünde wider
den Heiligen Geist gewesen, die sich bietende Gelegenheit unbenutzt
zu lassen,um sich mit Anstand aus dieser Mausefalle herauszuziehen.
Wenn daher die Darlegung, die ich dem Minister damals gab, mit-
gewirkt haben sollte, die Idee bei ihm zu festigen, würde ich es mir
nur als Verdienst anrechnen. —
Kurz darauf fuhr ich zu den großen Armeemanövern nach Ungarn
(Veszprim), wobei ich als Schiedsrichter fungierte. Es führten die
Generale Fiedlerund Albori, zwei prononzierteTypen der Generalität.
Die Manöver standen unter der Leitung des Thronfolgers und Con-
rads. Der Kaiser war anwesend und verfolgte alle Phasen mitgroßem
Interesse. Es war das letztemal, daß er seine Truppen im Felde sah.
Indessen waren in Budapest die Delegationen zusammengetreten,
und schwerwiegende politische Ereignisse überraschten die schlum-
mernde Menschheit. Sie bildeten das Präludium zur späteren Welt-
katastrophe.
Der Auftakt lag in der Selbsterhebung Bulgariens zum Königreich.
Es geschah zweifellos mit Wissen und Zustimmung der nächstbetei-
ligtenMächte :Rußland und Österreich-Ungarn.Insbesondere des letz-
teren, da die Proklamierung eigentlich aus Budapest erfolgte, wohin
sich Ferdinand von Bulgarien unmittelbar vorher begeben hatte.
Kurze Zeit daraufkam der große Schlager : die Annexionserklärung
Bosniens und der Herzegowina! Sie wirkte wahrhaft sensationell,
nicht viel geringer, als sechs Jahre später das Ultimatum an Serbien.
Ebenso überraschend war aber das Echo, das diese Verifizierung einer
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918