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aber einem späteren Zeitmoment vorbehalten, da wichtige Motive
einer derzeitigen Veröffentlichung im Wege stehen.
In den ersten Dezembertagen feierte man des Kaisers 60jähriges
Regierungsjubiläum. Nach so vielen Vorläufern an Veranstaltungen
v^erschiedenster Art fandam i. Dezember eine großartige Illumination
statt. Tags darauf gab's überall Gottesdienst. Die Jubiläumskreuze
gelangten zur Verteilung. Eine prunkvolle Galavorstellung in der
Hofoper bildete den Abschluß, wobei die Volkshymne von allen An-
wesenden gesimgen v\nirde. Diese Feierlichkeiten kamen sehr gelegen.
Sie wirkten auf die Stimmungen so leicht zugänglichen Österreicher
günstig ein. Die sich stets verdüsternde Situation ließ patriotische
Stimulanzen zeitgemäß erscheinen, und sogar über Bühnen, Kaba-
retts und Tingeltangels zog patriotische Stimmungsmache mit leicht
kriegerischem Anklang.
Als Gegenpart wurde in Böhmen in jenen Tagen das Standrecht
proklamiert. Wegen revolutionärer Umtriebe!
In der immer kritischer werdenden Situation fühlten sich Bertha
Suttner und andere Friedenstauben berufen, einen Vortrag unter dem
Motto ,,Wo bleiben dieFriedensfreunde?", zu halten. Die bekannten
Anathemata waren durch einen elegischen Grundton sordiniert, fast
im Gefühl, daß Lieb' und Müh' doch umsonst sei. Zuversichtlicher
sprach der Pazifist Dr. Fried unter der Devise ,,Der kranke Krieg",
dessen baldiges Absterben er sonnenklar nachwies. Leider zeigte sich
dieser ,,Patient" wenige Jahre später als ein pausbackiger, allzu
lebensfähiger Bengel.
Gelegentlich meiner Besuche im Ministerium des Äußern lernte ich
den interimistischen russischen Geschäftsträger, von Swerbejeff,
kennen, desgleichen den russischen Militärattache Martschenko, der
wenige ^Monate später auf unser dringliches Verlangen von Wien
abberufen werden mußte. Ich gewann den Eindruck, daß der Lauf
der Dinge diesen beiden diplomatischen Gegnern nicht so recht nach
Wunsch ging. Besonders Swerbejeff war stets moroser Laune. Ich
teÜte diese Beobachtung dem Minister mit, der schmunzelnd meinte,
es würde doch alles friedlich ablaufen. Der papierne Erfolg! Er
schwebte schon damals allen verantwortlichen Stellen— mit Aus-
nahme Conrads — als höchstes und wünschenswertestes Ziel vor
Augen.
Am Sylvesterabend, während der großen Gratulationscour in der
Hofburg, hatte ich noch eine kurze Besprechung mit Aehrenthal.
Er ersuchte mich dringend, bei meiner bevorstehenden Reise ins
Annexionsgebiet die Stimmung und die Verhältnisse gründlich zu
erheben.
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918