Page - 138 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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Liebedienerei oder streberisches Eingehen auf Anschauungen anderer
am Platze gewesen wären.
Die laufenden Vorkommnisse zogen mich wieder auf ihren Weg.
Zunächst fesselte meine Aufmerksamkeit der Besuch des Ministers
für Bosnien und die Herzegowina, Baron Burian. Bei unsern wieder-
holten längeren Gesprächen gewann ich den Eindruck, der sich später
bei den vielen dienstlichen Beziehungen, die uns verbanden, immer
mehr verstärkte, daß er zweifelsohne ein weit über das gewöhnliche
Maß versierter Mann sei, der besonders die Verhältnisse des Orients
gründlich kenne. Gebildet und sprachengewandt, studierte er jedes
Vorkommnis mit Eifer und Gründlichkeit. Fehler, die der Ober-
flächlichkeit entstammen, dürften ihm wohl kaum je passiert sein.
Trotz langjähriger Konsulatsdienstzeit war Burian doch mehr Theo-
retiker geblieben. Er wollte es auch nicht erfassen, daß man— ins-
besondere im Orient— persönlich dazusehen müsse und daß für eine
so eminent praktische Tätigkeit, wie die Diplomatie von heute es
sein sollte, die Doktorengelahrtheit nur einen relativen Wert besitze.
Seine Gelassenheit und Ruhe waren von Langeweile oft schwer zu
unterscheiden, was nicht ausschloß, daß er am Konferenztisch nervös
wurde, wenn man ihn beispielsweise in seinen Dissertationen unter-
brach oder wenn er merkte, daß sie nicht zogen. Verständnis für
die großen Ziele der Monarchie konnte man ihm nicht' absprechen,
spezifisches IMagyarentum nicht vorwerfen, aber als Lenker des Staats-
schiffes in stürmischester Zeit konnte ich ihn mir nicht leicht vor-
stellen.
Bald nach Abreise des Ministers, und während der Landeschef auf
Urlaub weilte, kam es in einigen Gegenden Nordbosniens zu Agrar-
unruhen, die einen bedrohlichen Charakter hätten annehmen können.
Seit Eröffnung des Sabors war die Kmetenablösung zu einem fixen
Programmpunkt der oppositionellen, besonders aber der serbischen
Parteien geworden. Man verstand darunter die Aufhebung des lebens-
länglichen und erblichen Pachtverhältnisses, in dem die Pächter
(Kmeten) zu ihren Grundherren (Agas) standen. Eine Art Grund-
entlastungsaktion, wie sie auch in Österreich in der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts, speziell in Galizien stattgefunden hatte.
Alle waren einig, daß in dieser Richtung etwas geschehen müsse, nur
wollten die Regierung und die Agas eine allmähliche und freiwillige
Enteignung, während die meisten Kmeten eine obligatorische und
sofortige Durchführung verlangten. Manchem Kmeten mochte^wohl
jene radikale Methode vorgeschwebt haben, die in Serbien nach den
Jahren 1877/78 Platz gegriffen hatte, wo die Agas einfach verjagt,
viele auch erschlagen wurden. Die Anschauungen gingen also weit
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Title
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Subtitle
- Eine Lebensschilderung
- Author
- Auffenberg von Komarów
- Publisher
- Drei Masken Verlag München
- Location
- München
- Date
- 1921
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.4 x 21.6 cm
- Pages
- 536
- Categories
- Geschichte Nach 1918