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Oswald Redlich (1858–1944) 35
Santifaller rühmte es Jahrzehnte nach dem Erscheinen überschwänglich als „klassisches
Meisterwerk“ der Geschichtsschreibung von „zeitloser Objektivität“16. Der ehemalige
Kurskollege Redlichs im IÖG, Sigmund Hertzberg-Fränkel, würdigte dagegen in seiner
zeitgenössischen Rezension in der HZ Redlichs „durch und durch modernes“ Buch, das
die Tatsachen „auf die Gesamtentwicklung der Nation“ hin einordne und in einen grö-
ßeren Zusammenhang rücke und „in seiner Auffassung, in der Auswahl der Fragen, in
der Art der Beantwortung den Geist der Gegenwart zu seinem vollen Rechte“ kommen
lasse17. Dabei wies Hertzberg-Fränkel auf jene „großen Forschungen“ hin, die sich neuer-
dings eher mit der Neuzeit als dem Mittelalter beschäftigten18. War nun Redlichs Werk
wirklich von der von Santifaller gerühmten „zeitlosen Objektivität“ ? Welche Aussagen
Redlichs können heute noch Gültigkeit beanspruchen, welche wirken zeitgebunden und
überholt ? Aus welcher Richtung wehte der Wind der Gegenwart, und wohin verwehte er
womöglich Redlichs Buch ?
Kaum ein Herrscher aus dem Hause Habsburg hatte im 19. Jahrhundert Vereinnah-
mungsversuche von Vertretern so unterschiedlicher Weltanschauungen erfahren wie
Rudolf. War er nun Guelfe oder Ghibelline ? Verfechter einer revolutionären Städtepolitik
oder Beförderer kurfürstlicher Libertät ? Epigone deutscher Reichsmacht oder Begründer
österreichischer Hausmacht ?
Redlichs Zeitgenossen im Deutschland des Zweibundes sahen, im Anschluss an Rankes
Weltgeschichte, in Rudolf etwas gönnerhaft zumeist einen bemühten, glanzloseren Epi-
gonen staufischer Kaiserherrlichkeit19. Gleichwohl sei Rudolf mit den Augen seiner Zeit
zu betrachten, und es sei damals einem deutschen König wohl, wenn er überhaupt noch
Ansehen im Reich hätte haben wollen, nichts anderes übriggeblieben, als sich auf die Bil-
Habsburg, in : Böhmisch-österreichische Beziehungen im 13. Jahrhundert. Österreich (einschließlich Stei-
ermark, Kärnten und Krain) im Großreichprojekt Ottokars II. Přemysl, König von Böhmen, hg. v. Marie
Bláhová (Prag 1998) 39–53, hier 45f. Peter Moraw hat das Wagnis unternommen, Rudolfs Herrschaft „mo-
dernisierungstheoretisch“ einem gesamteuropäischen Vergleich zu unterziehen, wobei vom französischen und
englischen Modell ausgegangen wird. Hier wird Rudolf nur die Bedeutung eines „kleinen Königs“ beigemes-
sen. Peter Moraw, Der „kleine“ König im europäischen Vergleich, in : Rudolf von Habsburg : 1273–1291 ;
eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel, hg. v. Egon Boshof und Franz-Reiner Erkens (Pas-
sauer Historische Forschungen 7, Köln 1993) 185–208. Dabei ist interessant, dass auch Redlich selbst bereits
bei seiner Apologie der Königsherrschaft Rudolfs eine Einordnung des rudolfinischen „Deutschlands“ in den
gesamteuropäischen Kontext vornahm. Auch in der Betonung der realen Grundlagen von Rudolfs Macht tun
sich überraschende Parallelen zwischen Redlich und Moraws ansonsten konträren Standpunkten auf.
16 Santifaller, Redlich (wie Anm. 1) 66f.
17 Sigmund HertzBerg-Fränkel, Rezension in : HZ 96 (104) 403f.
18 Ebd.
19 Zur historiografiegeschichtlichen Einordnung Rudolfs siehe Marianne Kirk, „Die kaiserlose, die schreckliche
Zeit“. Das Interregnum im Wandel der Geschichtsschreibung vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis zur Ge-
genwart (Frankfurt a/M 2002) 310 –324.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625