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Oswald Redlich (1858–1944) 45
5.2 Redlichs kritisches Bild der dynastischen Politik der Kaiser Leopold I. und Karl VI.
Die Abwehrkriege der Habsburgerkaiser seien aber keineswegs von den Habsburgern selbst
initiiert worden. Vielmehr sah Redlich eine ängstliche und zögerliche Appeasementpolitik
der Dynastie in Ost und West vorherrschen. 1664 bereits, im Vorfeld von Mogersdorf, sei
ihre Politik auf „Frieden um jeden Preis“ ausgerichtet gewesen. Genau dieselbe Friedens-
politik habe Leopold 1683 unter dem Einfluss einer spanischen Partei betrieben71. Auch
nach dem Sieg am Kahlenberg sei die kaiserliche Politik trotz allgemeiner Begeisterung
im Reich für den Türkenkrieg unwillig gewesen, sofort nach Ungarn nachzustoßen, wie
Karl von Lothringen vorausschauenderweise geraten habe. Dass schließlich die Wendung
gegen Ludwig erfolgt sei, sei primär nicht auf Leopolds Reichspatriotismus, sondern auf
dessen dynastisches Interesse am spanischen Erbe zurückzuführen. Aufgrund des Verspre-
chens der Seemächte, die spanische Sukzession zu unter-stützen, sei eine antifranzösische
Politik plötzlich aktuell geworden. Dagegen habe er im Jahr 1668 eine Einigung mit
Ludwig XIV. über das spanische Erbe dem energischen Schutz des Reiches gegen die fran-
zösische Bedrohung vorgezogen. In die Große Allianz sei der Kaiser dennoch nur unter
beträchtlichen konfessionellen Skrupeln eingetreten.
Im Ganzen zeichnet Redlich ein, mit einigen Abmilderungen, wenig günstiges Porträt
der Person und Politik Leopolds72 : Trotz „guter Vorsätze“ habe ihm die „nachhaltige Kraft
einer wahren Herrschernatur“ gefehlt. Seine „unermüdliche Tätigkeit“ habe sich lediglich
mit den „kleinen Dingen“ beschäftigt. Seine „unmännliche Frömmigkeit“ als alles be-
herrschender Zug seines Wesens sei „selbst Geistlichen“ zu viel gewesen73. Und obwohl
eine ausführliche Charakteristik Karls VI. fehlt, bleibt die weitgehend kritische Haltung
Redlichs auch gegenüber Leopolds Nachnachfolger voll bestehen.
Die entscheidenden ideologischen Schlachten der Geschichtswissenschaft um die
Entstehungsgeschichte der Pragmatischen Sanktion waren seit den bahnbrechenden For-
schungen Adolf Bachmanns und der Synthese Gustav Turbas geschlagen, neutral schil-
71 Zum Jahr 1683 in der Historiografie siehe zuletzt Martin Scheutz, 1683 – Zweite Türkenbelagerung Wiens.
Internationale Konflikte, beginnende Zentralisierung der zusammengesetzten Habsburgermonarchie und
Konfessionalisierung, in : Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496–1995), hg.
v. Dems., Arno Strohmeyer (Wien 2010) 111–135, hier 125–131. Vgl. auch Johannes Holeschofsky,
Die Türkenkriege in der klassischen österreichischen Historiografie (ungedr. Dipl. Arb., Wien 2008) 47f.
72 Vgl. dagegen die einhellige Wertschätzung Leopolds und dessen Reichspolitik durch zeitgenössische angel-
sächsische und bundesdeutsche Historiker : Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation
in der frühen Neuzeit 1495–1806 (München 1999) 199f., lobt Leopolds „geschickte“ Reichspolitik. Axel
Gotthard, Das Alte Reich 1495–1806 (Darmstadt 2009) 109f., spendet dem „klugen Mann“ Leopold Bei-
fall, ebenso Karl Otmar von Aretin, Federation or Hierarchical System ?, in : The Holy Roman Empire 1496
–1806, hg. v. Robert W. Evans (Oxford 2011) 27–43 ‚ hier 31.
73 Redlich, Geschichte (wie Anm. 60) 113f.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625