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Oswald Redlich (1858–1944) 51
auch den österreichischen Staatsgedanken auf die Vereinbarkeit mit den deutschnationa-
len Massenströmungen des 19. Jahrhunderts. Im Unterschied zu Meineckes Urteil über
die Hohenzollerndynastie und im Unterschied auch zu seiner eigenen Position im Jahr
1915 fiel Redlichs Urteil negativ aus : Den Habsburgern sei es nicht gelungen, sich dau-
erhaft mit den Strömungen ihrer Zeit zu assimilieren96. Dasselbe Urteil aber galt laut
Redlich für viele seiner „deutschösterreichischen“ Landsleute, ihn selbst eingeschlossen.
Die „Deutschen“ der Monarchie hätten als einzige der altösterreichischen Nationen kein
Natio nalgefühl entwickelt, seien vielmehr in Treue zu Dynastie und Staat „steckengeblie-
ben“. Das sei ein Fehler gewesen. Die „Deutschösterreicher“ hätten gleichsam auf das
falsche Pferd gesetzt97. „[…] unsere Zukunft, unser Heil ist bei Deutschland“98. Redlich
sprach also nicht nur dem kleinen Österreich des Jahres 1921 die Lebensfähigkeit ab, er
nahm die Entwicklung ab 1918 auch zum Anlass für Selbstkritik und revidierte seine
eigene, nur unter Vorbehalten ausgesprochene Bejahung Österreich-Ungarns.
6.3 Oswald Redlich : Ein Historiker über oder zwischen den Parteien ?
In seiner Rede anlässlich des Todestages seines Lehrers Theodor von Sickel skizzierte Red-
lich dessen Haltung zur politischen Situation in Österreich. Sickel sei oft eine generelle
Interesselosigkeit an Politik unterstellt worden99. Dieses Urteil stimme nicht, so Redlich,
der hier in Bezugnahme auf die Sickel-Edition von Wilhelm Erben auf einige tagespoli-
tische Artikel und Abhandlungen Sickels verwies100. Sickels Zurückhaltung sei auch kei-
neswegs aufgrund etwaiger Ressentiments gegenüber dem österreichischen Staat verständ-
lich, schrieb Redlich und verneinte auch implizit die Möglichkeit, Sickel hätte eventuell
deutschnationale, antiösterreichische Bestrebungen in Österreich gefördert101. Sickel habe
aber auch nichts von den großdeutschen Bestrebungen und Plänen der frühen 1860er Jahre
gehalten und diese, wie Redlich rügt, als Phantasterei abgetan102. Der „preußische Sachse“
Sickel sei fest im kleindeutschen Lager gestanden und gefühlsmäßig auf die erfolgreiche
preußisch-deutsche Einigkeit festgelegt gewesen. Hier macht Redlich auf den tatsächlichen
Grund für Sickels politische Abstinenz aufmerksam : Dessen eigentliche politische Emo-
tionen waren auf die Vorgänge jenseits der Grenze, auf die mit Freude erlebten Erfolge
Bismarcks gerichtet. Mit „Schmerz“ habe er, Redlich, als junger Sickel-Schüler erfahren,
96 Ebd.
97 Ebd. 39f.
98 Ebd. 51.
99 Redlich, Sickel, in : Ders. Ausgewählte Schriften (wie Anm. 94) 157–173, hier 162.
100 Ebd.
101 167f.
102 Ebd. 169.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625