Page - 55 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
Image of the Page - 55 -
Text of the Page - 55 -
Oswald Redlich (1858–1944) 55
So wiesen diese Redlich-Schüler, die später Protagonisten der Volksgeschichte wurden,
einerseits eine individuell unterschiedliche Entwicklung auf, wichen andererseits aber alle
von Redlich ab. Freilich war die Betreibung einer sozialdarwinistischen, biologistischen
Volksgeschichte keineswegs der einzig denkbare Weg eines deutschsprachigen Historikers
zur NS-Sympathie. Ein „Deutschland, Deutschland über alles“ genügte vollkommen,
und ein solches Bekenntnis war schon in der nationalistischen Geschichtsschreibung des
Treitschke-Schülers Dilthey und von seinen Nachfolgern gegeben116. Wie später zu zeigen
ist, standen Redlich und Meinecke dem Nationalsozialismus skeptisch gegenüber, wäh-
rend geistesverwandte Historiker wie Srbik und Marcks zu dessen Anhängern wurden.
Jedenfalls ist, ganz in Oberkromes Sinne, von der Identifikation von Schülern mit der
Position ihrer Lehrer abzuraten.
8. politische, wissenschaftspolitische und
universitätspolitische tätigkeiten
8.1 Redlich, „Austrofaschismus“ und Nationalsozialismus
Der glühende Nationalsozialist und Redlich-Schüler Ludwig Bittner hatte in seinem Ne-
krolog beanstandet, der im Alter zusehends „dickköpfige“ Redlich habe Sympathie für
die „separatistischen“ Bestrebungen Österreichs in den 1930er Jahren erkennen lassen117.
Tatsächlich hatte Redlich sich als Bundeskulturrat dem „Ständestaat“ als Funktionär zur
Verfügung gestellt, als enthusiastischer Aktivist des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes trat er
allerdings kaum auf. Unzweifelhaft ist dagegen seine Skepsis gegenüber dem NS-Regime.
In mehreren Zeitungsartikeln aus dem Dezember 1933 warnte er vor einem furchtbaren
Angriff, dem die Freiheit der Wissenschaften nun ausgesetzt sei. In einem Aufruf in der
„Wiener Zeitung“, der unmittelbar nach den Weihnachtsappellen von Engelbert Dollfuß,
Kurt von Schuschnigg und Emil Fey abgedruckt war, gab Redlich seiner Sorge unmissver-
ständlichen Ausdruck118. Nicht einmal in den „düstersten“ Zeiten der Gegenreformation
Klagenfurt 1997) 210f. Siehe auch Renate Spreitzer, Harold Steinacker (1875–1965) Ein Leben für Volk
und Geschichte, in : Österreichische Historiker 1900–1945. Lebensläufen und Karrieren in Österreich,
Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftsgeschichtlichen Porträts, hg. v. Karel Hruza (Wien
2008) 191–225.
116 Siehe Ingo Haar, Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der Volkstums-
kampf im Osten (Göttingen 2000) 362f. Haar beschreibt die Ablehnung des Nationalsozialismus durch
„historistische“ deutscher Historiker, wobei er sich vor allem auf Meinecke fokussiert. Dessen Haltung wird
treffend charakterisiert.
117 Bittner, Redlich (wie Anm. 1) 190.
118 Oswald Redlich, Krise der Wissenschaft, in : Wiener Zeitung, Ausgabe vom 24.12.1933 3f.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625