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Oswald Redlich (1858–1944) 57
ist. Dem Historiker ging es außerdem um die einheitliche Ausbildung der Archivare im
Institutskurs des IÖG.
Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie wurde Redlich zunächst am
30. November 1918 zum Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, des Hofkammerar-
chivs und des Archivs für politische Korrespondenz im Staatsamt für Äußeres ernannt122.
Im Mai 1919 erhielt er die Ernennung zum Archivbevollmächtigten der Republik mit
umfassenden Vollmachten. Was war der politische Hintergrund dieser Ernennung ? Die
Siegermacht Italien sowie mehrere Nachfolgestaaten der ehemaligen Monarchie erhoben
umfassende Forderungen nach Beständen aus den österreichischen Archiven. Redlich
gelang es aufgrund seiner amikalen Kontakte zu italienischen Historikern, die er nicht
zuletzt als Lehrender am IÖG geknüpft hatte, eine Einigung zwischen Italien und Öster-
reich herbeizuführen123. Diese Einigung basierte auf dem seit jeher von Redlich gefor-
derten Provenienzprinzip. Bereits im Jahr 1919 gelang ein Archivabkommen mit Italien,
und im Sonderabkommen zwischen Österreich und Italien über die Frage des Kulturbe-
sitzes vom Mai 1920 wurden die Streitigkeiten schließlich endgültig beigelegt. Redlichs
Verhandlungsstrategie scheint von Anfang an gewesen zu sein, Archivbestände, die in
den Nachfolgerstaaten der Habsburgermonarchie entstanden waren, diesen Ländern zu
überlassen. Im Gegenzug aber sollte ein größerer Angriff auf Österreichs Archivbestände
im Zeichen des sogenannten Pertinenzprinzips (Betreffprinzips) abgewehrt werden. Dabei
mussten vor allem der Siegermacht Italien weitgehende Konzessionen gemacht werden.
Diese schlugen sich auch in den Bestimmungen der Archivartikel des Friedensvertrags
von Paris Saint-Germain nieder124. Die endgültige Fassung der Ausführungsbestimmun-
gen des Vertrags wurde von Redlich selbst als günstig begrüßt125. Die Tschechoslowakei
122 Just, Redlich (wie Anm. 1) 420. Wilhelm Bauer kommentierte Redlichs Ernennung so : […] daß Redlich Nach-
folger Hartmanns als Staatsbevollmächtigter bei den Archiven geworden ist, hast Du wohl gelesen. Also wieder einmal
eine neue Stelle und kein neues Buch. IÖG-Archiv, NL Hans Hirsch, undatierter Brief Bauers an Hirsch.
123 Just, Redlich (wie Anm. 1), 420.
124 HHStA, NL Oswald Redlich, K. Nr. 2, deutsche Übersetzung der Friedensbestimmungen des Vertrages von
Paris Saint-Germain : Artikel 193 : Österreich stellt […] alle […] Akten, Urkunden […] zurück, die in unmit-
telbarem Zusammenhang mit der Geschichte der abgetretenen Gebiete stehen und während der letzten 10 Jahre
davon entfernt wurden. Soweit Italien in Betracht kommt, reicht die Frist bis zum Zeitpunkt der Gründung des
Königreiches Italien zurück.
125 Redlich schrieb an Bittner : Inzwischen habe ich bei Michael Mayr ein Exemplar des gesamten Friedensvertrages
einsehen können. Es verhält sich also so wie Sie schreiben. Durch die Weglassung von Abs.1. des Artikels 189 ist die
gefährliche Stelle beseitigt. Die Folgerung aus dem jetzigen Texte scheint nun zu sein, daß stillschweigend unsere
ganzen Archive unserem Staate ohne Einschränkung zugesprochen werden. Von Condominium oder Controlle ist
keine Rede. Allerdings würde diese für Österreich so zufriedenstellende Lösung von anderen Nachfolgestaaten
in Frage gestellt werden. Vor allem die Ungarn seien erbittert. Zu der glücklichen Lösung mit Italien indes
hätte die Haltung italienischer Kollegen wesentlich beigetragen. IÖG-Archiv, NL Ludwig Bittner, Brief Red-
lichs an Bittner vom 12.09.1919.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625