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80 Celine Wawruschka
4. wissenschaftliche vereinstätigkeit
Während seiner Studienzeit war Hartmann im Jahr 1883 in Wien mit einer Gruppe jun-
ger, oppositioneller Wissenschaftler an der Gründung der „Zeitschrift für Social- und
Wirtschaftsgeschichte“, der späteren „Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsge-
schichte“, beteiligt, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, „dem gemeinsamen Bedürfniss der
Geschichtsforschung und der Sozialwissenschaft Rechnung zu tragen und die wirthschaft-
lichen Ursachen historischer Veränderungen aufklären zu helfen“76. Die Sichtweisen die-
ser Gruppe um die Althistoriker Hartmann und Emil Szanto und die Nationalökonomen
Carl Grünberg und Stephan Bauer standen im Zusammenhang des deutschsprachigen
Diskurses jener Zeit, vor allem des Methodenstreits in Geschichte und Nationalökono-
mie. Trotzdem wies diese Wiener Gruppe eigenständige Züge auf, die sie sowohl von der
vorherrschenden Historiographie als auch von der „Wiener theoretischen Nationalökono-
mie“ unterschieden. In ihrer personellen Zusammensetzung und ihrem methodologischen
Anspruch verkörperte sie den Versuch, Geschichte und Sozialwissenschaft tatsächlich in
Verbindung zu bringen und Quellenorientierung und ökonomisch-soziologische Theorie-
bildung zu vereinigen. Darüber hinaus zeichnete sie sich durch eine universalhistorische
Perspektive aus, die sich in der Ablehnung von Epochengrenzen und Weltoffenheit in der
Themenwahl ausdrückte sowie durch ihre Sympathie zur Arbeiterbewegung, womit auch
das Streben einer breiten Popularisierung wissenschaftlicher Ergebnisse in der Volks- und
Arbeiterbildung verbunden war77.
Nach dem Tod des Historikers Heinrich Friedjung im Jahr 1922 führte Hartmann
gemeinsam mit dem Historiker Alfred Francis Přibam die von Friedjung gegründete „Ge-
sellschaft für Geschichtsfreunde“ als „Friedjung-Gesellschaft“ zur Erforschung der Zeitge-
schichte fort, deren vorrangiges Ziel darin bestand, Politiker und Militärs zur Geschichte
des Weltkriegs sprechen zu lassen78.
Das Interesse Hartmanns an der Soziologie drückte sich in seinem Mitwirken in der
Gründung des „Sozialwissenschaftlichen Bildungsvereins“ im Frühjahr 1895 aus79, in
dem der sozialdemokratische Politiker Karl Renner als Schriftführer und später als Ob-
76 Stephan Bauer, Carl GrünBerg, Ludo Moritz Hartmann, Emil Szanto, Vorwort, in : Zeitschrift für
Social- und Wirtschaftsgeschichte 1 (1893) I.
77 Josef Ehmer, Albert Müller, Sozialgeschichte in Österreich. Traditionen, Entwicklungsstränge und Innova-
tionspotential, in : Sozialgeschichte im internationalen Überblick. Ergebnisse und Tendenzen der Forschung,
hg. v. Jürgen Kocka (Darmstadt 1989) 110f.; siehe auch Bauer, Hartmann (wie Anm. 12) 336.
78 Franz Adlgasser, Margret Friedrich, Einleitung, in : Heinrich Friedjung, Geschichte in Gesprächen. Auf-
zeichnungen 1898–1919, hg. v. dens. (VKGÖ 87/88, Wien 1997)
79 Max Adler, Zum Gedächtnis Ludo M. Hartmanns (1926), Nachdruck in : Filla, Judy, Knittler-Jux,
Aufklärer und Organisator (wie Anm. 2) 106.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625