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Hermann Wopfner (1876–1963) 117
6. wopfner als „politischer historiker“88
HistorikerInnen sind wie alle Menschen durch ihre soziale Umwelt geprägt und kön-
nen sich einer gewissen Parteilichkeit kaum entziehen. Es gehört heute zur Konvention
wissenschaftlicher Texte, jegliche offen zur Schau gestellte Sympathie für eine politische
Gruppierung zu unterlassen bzw. sich als Wissenschafter nicht durch eine politische Par-
tei instrumentalisieren zu lassen. In der Zwischenkriegszeit gab es diesen negativen Bei-
geschmack des „Politischen“ in der Wissenschaft aber noch nicht. Grass sprach sogar
im positiven Sinn von einer „Begabung [Wopfners] als ‚politischer Historiker‘“89. Ob
aus politischer Begabung, Patriotismus oder Gerechtigkeitsdenken, Wopfner beteiligte
sich jedenfalls an den fruchtlosen Versuchen, durch die Erbringung wissenschaftlicher
Beweise für das „Deutschtum“ Südtirols die Trennung Tirols rückgängig zu machen. Er
war Hauptautor der noch im Dezember 1918 vom akademischen Senat der Universität
Innsbruck herausgegebenen Denkschrift „Die Einheit Deutschtirols“90, die in der hohen
Auflage von 2.000 deutschen und jeweils 3.000 englisch- und französischsprachigen Ex-
emplaren gedruckt wurde91. Wopfner schrieb mit dem Ansinnen, „der Vergewaltigung
und Annexion Deutsch-Südtirols durch Italien mit den Waffen der Wissenschaft“ entge-
genzutreten und die Stimme gegen „die Unterwerfung Deutsch-Südtirols unter die italie-
nische Fremdherrschaft“ zu erheben, um „dauernde Feindschaft zwischen dem deutschen
und dem italienischen Volk“ zu verhindern92. Er unterstellte Italien, „von imperialistischer
Eroberungsgier geleitet“93 zu sein und brachte Argumente aus der (Siedlungs) Geschichte,
Geographie, Religion, Sprachwissenschaft, Kunst und Kultur gegen die Teilung Tirols
ein. Diese Denkschrift war nur ein erster Schritt für zahlreiche weitere Aktivitäten Tiro-
ler Wissenschaftler, die Südtirol betreffenden Regelungen im Friedensvertrag von Saint
Germain zu revidieren. Wenngleich etwa ein Dutzend Beiträge zur „Südtirolfrage“ aus
Wopfners Hand stammten, so produzierte etwa der äußerst produktive Tiroler Historiker
Otto Stolz noch deutlich mehr Schriftgut zu diesem Thema94.
88 Vgl. Nekrolog zu Wopfner von Nikolaus Grass, in : ZRG GA 81 (1964) 549–551.
89 Ebd. 550.
90 Wopfner, Einheit (wie Anm. 43).
91 Richard SchoBer, Die Tiroler Frage auf der Friedenskonferenz von Saint Germain (Schlern-Schriften 270,
Innsbruck 1982) 203.
92 Wopfner, Einheit (wie Anm. 43) 4.
93 Ebd. 13.
94 Zu Stolz und seinem Verhältnis zu Wopfner siehe Gerhard Siegl, Otto Stolz (1881–1957) Trotz Fleiß kein
Preis ? Der geknickte Marschallstab, in : Österreichische Historiker 1900–1945 (wie Anm. 8) 419–460.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625