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130 Petra Svatek
wollte. Gustav Götzinger wies bereits 1954 darauf hin, dass Hassinger dadurch „mit seiner
Erschütterung über den Zusammenbruch der Monarchie fertig zu werden versuchte“30.
Tatsächlich kann von dieser Annahme ausgegangen werden. Hassinger wollte eine Staa-
tenkunde aufbauen und ihre tiefgreifenden Wurzeln eruieren sowie einen jungen Staat
einer länderkundlichen Analyse unterziehen. Ungefähr ein Drittel der Monographie setzt
sich mit der Lage, der Landschaft und der Bevölkerung samt ihrer Volkskultur ausein-
ander. Dabei definierte er unter anderem „Mitteleuropa“ neu, indem er zwischen einem
„deutschen Mitteleuropa und einem nur mehr teilweise deutschen Donau-Mitteleuropa“
differenzierte, die beide „untereinander eng verflochten“ wären31. Ab Seite 181 analysierte
Hassinger die Geschichte der Tschechoslowakei von der Prähistorie bis zur damaligen
Zeitgeschichte, ehe er sich ab Seite 336 der Verfassung und Verwaltung, der Wirtschafts-
und Außenpolitik, der Situation der Minderheiten und nationalpolitischen Fragen zu-
wandte. Verfechter der Tschechoslowakei waren von Hassingers Forschungen wenig be-
geistert gewesen, und 1936 wurde seine Monographie sogar auf den tschechoslowakischen
Index gesetzt32. Als Gründe können wohl seine Ausführungen zu den Minderheiten, dem
Grenzlanddeutschtum und der Tschechisierung genannt werden.
Während der 1920er Jahre begann sich Hassinger vermehrt mit den Beziehungen der
Geographie zu anderen Wissenschaften auseinanderzusetzen. Bereits in seiner Basler An-
trittsvorlesung 1919 versuchte er die Grenzen der geographischen Wissenschaftsdisziplin
gegenüber anderen Natur- und Geisteswissenschaften aufzuzeigen und die herausragende
Brückenfunktion der Geographie zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen
hervorzuheben33. Während der 1920er Jahre wandte er sich immer mehr der Verbindung
zwischen Geographie und Geschichte zu. In seiner Freiburger Antrittsvorlesung behan-
delte Hassinger die „Beziehungen zwischen der Geographie und den Kulturwissenschaf-
ten“, wobei er auf die gemeinsamen Wurzeln der Geographie und Geschichte bei den
alten Griechen und das historische Element der Geographie hinwies34. „Die Raumgebun-
denheit der historischen Vorgänge, die Zeitgebundenheit der Kulturlandschaftsformen,
30 Götzinger, Hassinger (wie Anm. 2) 154.
31 Hassinger, Tschechoslowakei (wie Anm. 28) 32.
32 Robert Luft, Deutsche und Tschechen in den Böhmischen Ländern. Traditionen und Wandlungen eines Teil-
gebiets der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft, in : Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern
im 20. Jahrhundert. Wissenschaftstraditionen – Institutionen – Diskurse, hg. v. Christiane Brenner, K. Erik
Franzen, Peter Haslinger, Robert Luft (Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum 28, München
2006) 367–431, hier 373.
33 Hugo Hassinger, Über einige Aufgaben geographischer Forschung und Lehre, in : Kartographische und
schulgeographische Zs. 8 (1919) 65–76.
34 Ders., Über Beziehungen zwischen der Geographie und den Kulturwissenschaften (Freiburger Universitäts-
reden 3, Freiburg 1930), 3, 11.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625