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180 Marija Wakounig
nen, sondern maßgeblich von auch affektgesteuerten Netzwerken und somit vom Glück
bestimmt werden139 ? Beide Zäsuren im Leben des Wissenschaftlers Uebersberger waren
von zwischenmenschlichen Beziehungen unterschiedlicher Qualität und Ausprägung ge-
kennzeichnet. Als ethischer Maßstab bzw. als Leitfigur kann von 1899 bis etwa 1913/1914
gewiss Franz Liechtenstein bezeichnet werden, denn dieser war es, der ihn eigentlich zum
Osteuropahistoriker ermutigte, ihm verdankte Uebersberger somit den Werdegang und
die Institution, und last not least durch seinen Umgang mit ihm gewiss eine besondere
Anerkennung innerhalb seiner Wissensgesellschaft ; den hochadeligen und aus einem sou-
veränen Haus stammenden Prinzen sprach er selbstverständlich und inkorrekt mit dem
Titel „Fürst“ an. Die Summe all dessen wird Uebersbergers Selbstdarstellungs- und Im-
poniergehabe gewiss nicht gemindert haben. Bis etwa zum Ende des Ersten Weltkrieges
gelang es ihm, dem Gönner, den er wahrscheinlich als einzige Autorität neben sich aner-
kannte, zumindest in der schriftlichen Korrespondenz zu vertuschen, dass er deutschna-
tional, antisemitisch und seit der Beratertätigkeit für das Außenministerium extrem russ-
landfeindlich geworden war140. Letzteres war eine Konsequenz der Zusammenarbeit mit
dem ähnlich gesinnten Außenminister Alois Lexa Freiherr Aehrenthal141. Auch Liechten-
stein war wegen der Oktoberrevolution antikommunistisch und in Folge sowjetrussland-
kritisch eingestellt ; allerdings wäre es ihm auch wegen seiner Beziehung zu einer Jüdin,
seiner späteren Ehefrau und Fürstin Elsa, nie in den Sinn gekommen142, wie sein lange
protegierter Wissenschaftler Uebersberger gegen besseres Wissen und vollkommen unwis-
senschaftlich den Kommunismus mit dem Antisemitismus unheilvoll zu vermengen143.
1918 war auch für Uebersberger eine mehrfache Zäsur, wobei hier pars pro toto nur
erwähnt werden soll : Er wurde nach dem Tod von Jireček Institutsvorstand am „Seminar
139 Max Weber, ein Zeitgenosse von Uebersberger, hatte es 1917 auf den Punkt gebracht, als er feststellte, dass
eine Universitätskarriere Glückssache sei und nicht immer die Besten Karriere machen. Siehe dazu Max
WeBer, Wissenschaft als Beruf, in : Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre (Tübingen 1986)
582–613, hier 588. Siehe auch Taschwer, Bährenhöhle (wie Anm. 73) 3.
140 Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 88 ; Voigt, Rußland (wie Anm. 21) 88 Anm. 87.
141 Aehrenthal wurde bereits während seiner frühen Tätigkeiten als Angehöriger der k. u. k. Botschaft in St. Pe-
tersburg und 1899–1906 als Botschafter ebendort zunehmend feindlich gegen Rußland und die Russen und
brachte dies auch in seiner Denkschrift „Unser Verhältnis zu Rußland, betrachtet vom Geschichtspunkte
der inneren und äußeren Politik der Monarchie“, Prag 03.12.1898 (HHStA, Politisches Archiv I/474) klar
zu Papier. Rezentes zu Aehrenthal bei Susanne Flack, Alois Freiher Lexa von Aehrenthal. Die frühen Jahre
im Diplomatischen Dienst (Dipl. Arb., Wien 2005) ; Wakounig, Grandseigneur (wie Anm. 17) ; Solomon
Wank, In the Twilight of Empire. Count Alois Lexa von Aehrenthal (1854–1912), Imperial Habsburg Pat-
riot and Statesman (VKGÖ 102, Wien/Köln 2009).
142 Wakounig, Grandseigneur (wie Anm. 17) 51–60, 65f.
143 Als bestes Beispiel dient die Causa Horovitz. Siehe dazu Suppan, Wakounig, Uebersberger (wie Anm. 3)
110–114, sowie Taschwer, Bährenhöhle (wie Anm. 73).
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625