Page - 181 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
Image of the Page - 181 -
Text of the Page - 181 -
Hans Uebersberger (1877–1962) 181
für osteuropäische Geschichte“ ; auch die Donaumonarchie zerfiel und in Folge dessen
1919 mit ihr der Traum von einem an Deutschland angeschlossenen Österreich. Diese
„Neuordnung“ Europas nach dem Ersten Weltkrieg bedeutete in der persönlichen Bezie-
hung zum Liechtensteinischen Prinzen eine Veränderung, die man als politisch-ethische
Emanzipierung des Osteuropahistorikers von seinem Gönner interpretieren kann. Be-
trachtet man die berufliche und menschliche Entwicklung Uebersbergers nach 1918, ins-
besondere in den 1920er Jahren, vermeint man eine schirmende Autorität zu vermissen.
1934 hatte Uebersberger seinen Nachfolger in Wien, Martin Winkler, selbst in Stel-
lung gebracht, 1938 und 1939 verlor er kein gutes Wort mehr über ihn. Könnte dieser
Sinneswandel nicht so erklärbar sein, dass er seit 1931/1933 nicht nur wegen seiner illega-
len Tätigkeit und seiner Privatbeziehung Wien verlassen wollte und es auch tat, sondern,
weil ihm im Zentrum des Dritten Reichs der Aufbau eines exponentiellen Osteuropa-
instituts versprochen wurde144 ? Weil sich aber 1933 abzeichnete, dass es nicht Berlin,
sondern Breslau wird, hat Uebersberger einen Kandidaten für Wien empfohlen, von dem
er wusste, dass er von den Nationalsozialisten im Fall des Falles als politisch unzuverlässig
eingestuft wird. Wer, wenn nicht Uebersberger konnte 1938 rund um den Anschluss wis-
sen, dass die NS-Betriebsamkeit von Winkler vorgeschoben war ? Uebersberger hat relativ
bald erkannt, dass weder Breslau noch Berlin dem Prinzip Hoffnung entsprachen, außer-
dem war Wien Teil des NS-Staates und Teil neuer Überlegungen geworden. Der Abbruch
der Berufungsverhandlungen im September 1939 war nicht gänzlich überraschend, eher
die inszenierende Erklärung, dass er wegen des Kriegsausbruches sein Seminar nicht ver-
lassen könne. Uebersberger stand wegen der Verhandlungen im regen Kontakt mit Wien,
hat auch persönlich in Wien vorgesprochen und musste im Zuge dessen feststellen, dass
ein Fußfassen wegen seiner noch immer nicht geklärten Privatsituation schwierig werden
würde. Der letzte Scheidungsprozess stand noch bevor. Als Historiker war ihm gewiss
bewusst, dass er in Wien nicht zur Tagesordnung werde übergehen können, und um das
Gesicht zu wahren, setzte er seine Rufablehnung mit einem welthistorischen Ereignis in
Beziehung145.
Die kollegialen Beziehungen, die er pflegte oder neu erwarb, stammten aus dem Um-
kreis Gleichgesinnter, etwa der Burschenschaft Albia, dem Deutschen Klub146 oder der
berühmt-berüchtigten „Bärenhöhle“ im Paläologischen Institut der Universität Wien. Die
einzige Freundschaft, die alles überdauerte, scheint Uebersberger zu Bittner bis dessen
Selbstmord im Jahr 1945 gepflogen zu haben ; dieser war wahrscheinlich der einzige, der
144 Diese These stützen die Forschungen von Voigt, Rußland (wie Anm. 21) 247 Anm. 45.
145 Vgl. u. a. Uebersberger an Bittner, Berlin 20.09.1939, HHStA, NL Bittner, 3–2–525.
146 Uebersberger war u. a. 1930 dort Vorstandsmitglied, siehe dazu Mitteilungen des Deutschen Klubs, Folge 2/
Februar (Wien 1930) 1, zitiert bei Behal, Kontinuitäten (wie Anm. 81) 104.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625