Page - 182 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
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182 Marija Wakounig
dem Osteuropahistoriker auf Augenhöhe begegnen konnte. Die Freundschaft zum poli-
tisch ebenfalls konformen Juristen Gleispach war eigentlich utilitaristisch : Letzterer dürfe
nach 1933 nicht nur den Weg von Wien (via Breslau) nach Berlin geebnet, sondern Ue-
bersberger wegen der nationalsozialistischen Ehegesetzgebung am Laufenden gehalten ha-
ben. Das diesbezügliche und zeitlich mehr als frühe (1936) Insiderwissen des Osteuropa-
historiker über eine Berücksichtigung des Zerrüttungsparagraphen (1939) überrascht147.
Uebersberger fungierte für Gleispach außerdem als Trauzeuge der zweiten Ehe148. Den
größten Impact auf den Karriereverlauf nach 1930 aber hatten nicht etwa professionelle
Beziehungen, sondern eine als nicht (gesellschafts-)konform klassifizierte Liaison zu einer
Studentin, später ebenfalls Osteuropahistorikerin, die einen großen Interpretationsspiel-
raum für Dritte zuließ. An ihr zerbrach die erste Familie Uebersbergers, kollidierte die
Freundschaft mit etlichen Kollegen und zerbröckelte der Ruf eines um seriöse Anerken-
nung bemühten Wissenschaftlers. Es war nicht bloß Vasmer, der von der Unvereinbarkeit
der universitären Beziehung und Karriere von Uebersberger und Fleischhacker überzeugt
war, Srbik vertrat in Wien für viele stellvertretend ebenfalls diese Meinung, als es 1939 um
die Besetzung des Osteuropa-Lehrstuhls ging und Uebersberger in seiner unnachahmli-
chen Art für den dritten Platz die davor habilitierte Fleischhacker vorschlug. Die Wiener
Kommission ließ festhalten : Eine Assistentin (Dr. Habil) des Berliner Institutes, die sonst
sehr tüchtig genannt werden kann, kommt nicht in Betracht149. Derselbe Srbik weigerte sich
auch, im parallel laufenden Ehescheidungsprozess für Uebersberger auszusagen.
Es ist sehr heikel und keineswegs unumstritten, das Privatleben eines Menschen als
Referenzrahmen für seine berufliche Laufbahn heranzuziehen oder als Erklärungs- und
Deutungsmuster gelten zu lassen. Im Fall von Uebersberger ist allerdings zu konstatieren,
dass sein unorthodoxes Privatleben ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre den wunden
Punkt in Bezug auf einen steilen und stetigen Karriereverlauf ausmachte und wohl auch
den Schlusspunkt setzte. Die Frage, was einen über fünfzigjährigen Mann, der die höchs-
ten akademischen Ämter in der Ersten Republik Österreich erklommen, davor in der Mo-
narchie außerdem für das Auswärtige Amt als beratender Wissenschaftler eine eminente
Rolle gespielt und einem/seinem renommierten Institut jahrelang vorgestanden hatte,
veranlasste, alles aufzugeben, um zunächst an einer zweitrangigen Universität, außerhalb
der österreichischen Grenzen, von vorne zu beginnen, ist schwer zu beantworten. Es wäre
wohl zu einfach, dies ausschließlich mit der nationalsozialistischen Haltung, dem extra
geschaffenen Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte in Breslau oder mit dem exorbi-
147 Uebersberger an Bittner, Berlin 29.07.1936, HHStA, NL Bittner, 3–2–513.
148 Uebersberger an Bittner, Berlin 12.06.1940, ebd. 3–2–503 ; vgl. Auch Suppan, Wakounig, Uebersberger
(wie Anm. 3) 152 Anm. 136.
149 Ebd. 146 ; Stoy, Seminar (wie Anm. 3) 237f.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625