Page - 236 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
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236 Martina Pesditschek
sich Helboks veröffentlichte Einstellung zu diesem Komplex noch 1932 gar nicht we-
sentlich von jener Kötzschkes, der sich 1927 zur Relevanz des Begriffs „Rasse“ für die
Geschichtstheorie dahingehend geäußert hatte, dass der Historiker diesem „meist mit
größter Zurückhaltung“ gegenüberstehe, und das „nicht mit Unrecht. Bei Schlüssen auf
die ‚ursprüngliche‘ Rasse ist höchste Vorsicht geboten […]. Doch ist das Problem nicht
von der Hand zu weisen“294.
Nach ersten Ansätzen schon im Jahr 1933 wird „Rasse“ und „Blut“ seit dem unten
näher zu besprechenden Bändchen „Was ist deutsche Volksgeschichte ?“295 bei Helbok
durchaus inflationär verwendet, und seine Wertschätzung der „Nordrasse“/„nordischen
Rasse“ scheint dann unbegrenzt (wobei „Rasse“ freilich noch bis einschließlich 1935 auch
weiterhin bloß als Synonym für „Volk“ gebraucht sein kann). Es ist verständlich, dass
gegen Helbok deshalb sowohl in der NS-Zeit296 als auch danach297 der Verdacht des Kon-
junkturrittertums erhoben worden ist. Laut Helboks „Erinnerungen“ war für diesen Wan-
del der persönliche Einfluss Eugen Fischers in Berlin verantwortlich ; Fischer war nicht
etwa nur in den Augen seiner Tochter und von Schülern298, sondern nach einem bewusst
etwas „überspitzt formuliert[en]“ Urteil seines führenden Biographen zwar Rassist, aber
kein Antisemit299 – jedenfalls eignete ihm keine antisemitische Obsession wie Hitler und
überhaupt den typischen Nationalsozialisten. Der Umstand, dass Helbok auch weiterhin
weitgehend explizite antisemitische Polemik auf rassistischer Grundlage ausgespart hat
(siehe unten), die ja im nationalsozialistischen Deutschland durchaus opportun gewesen
wäre, und bei ihm „nordisch“ vor allem in Opposition zu „ostisch“ und nicht zu „semi-
tisch“ steht, spricht nun sicherlich für die Richtigkeit von Helboks Darstellung – er hat
dann also just erst unter dem Eindruck seiner Freundschaft mit Fischer damit begonnen,
in der Rassenkunde (sowie weiters auch in der Eugenik) vergleichsweise exakte und ver-
trauenswürdige Wissenschaften zu sehen, was menschlich ja durchaus verständlich ist,
aber dem Wissenschaftler doch ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellt300 –, und dass
294 Zitat nach Ludwig, „Ein sonniges Neuland“ (Bibl.) 56.
295 Adolf HelBok, Was ist deutsche Volksgeschichte ? Ziele, Aufgaben und Wege (Berlin/Leipzig 1935).
296 Vgl. unten Anm. 399.
297 Vgl. Karl Ditt, Zwischen Raum und Rasse. Die „moderne Landesgeschichte“ während der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts, in : 100 Jahre Landesgeschichte (Bibl.) 161–195, hier 177 : „So wie er in den 1920er Jah-
ren die kursierenden Wissenschaftstheorien aufgegriffen hatte, so veränderte er in den 1930er Jahren seinen
Ansatz im Sinne der herrschenden politischen Meinung. Mit diesem Anpassungsprozess sowie mit seiner
flüchtigen und spekulativen Arbeitsweise machte er sich weder unter den deutschen Landeskundlern noch
speziell an der Universität Leipzig Freunde.“
298 Vgl. Müller-Hill, Tödliche Wissenschaft (wie Anm. 248) 120, 134f., 149, 158, 160.
299 Lösch, Rasse als Konstrukt (wie Anm. 188) 295. Doch vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen (wie Anm.
242) 299–312, 446, besonders 301.
300 Welch unsicherer Boden die Rassenkunde tatsächlich gewesen ist, hätte Helbok ja schon aus einer kontrastie-
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625