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Adolf Helbok (1883–1968) 243
beschränkt, die jedenfalls noch 1933 auch für Fischer viel wichtiger als die negative Euge-
nik gewesen sein soll330. Der inhumanen Natur der Kehrseite der positiven Eugenik, sc.
der negativen Eugenik, gegenüber hat Helbok Apperzeptionsverweigerung betrieben331.
Was die von ihm nun bald ebenfalls inflationär verwendeten Termini „Auslese“ bzw. „Aus-
merze“ betrifft, so bezeichnen diese bei Helbok immer naturhafte Prozesse und nicht etwa
durch Menschen hervorgerufene oder hervorzurufende Eingriffe an (Unter-)Leib und Le-
ben, und der „Zivildiener“ im Ersten Weltkrieg Helbok hat von 1935 an mit geradezu
grotesker Penetranz als bewährtestes „Auslese“- bzw. „Ausmerze“-Verfahren nicht etwa
den Krieg, sondern die Rodungsarbeit genannt : „Ausmerze“ ging für ihn idealtypisch
augenscheinlich etwa so vor sich, dass einem weniger „erbwertigen“ Individuum beim
Rodungswerk als Folge seiner Ungeschicklichkeit ein Baum auf den Kopf fiel, worauf es
gar nicht mehr erst zur Familiengründung gelangte ; ultimativer Beweis für die Richtigkeit
dieser Anschauung schien ihm dabei der Umstand, dass die Vorfahren des „Führers“ aus
dem Rodungsgebiet Waldviertel stammten332.
Ein 1934 zunächst geplanter Ferienaufenthalt in Innsbruck bzw. generell in Österreich
wurde von Helbok offenbar kurzfristig verworfen, denn angesichts des Juliputsches333 in
diesem Jahr „rieten uns [Freunde], fernzubleiben, da ich offenbar lediglich durch meinen
Berliner Berufsaufenthalt verdächtig war“334. Die Ferien verbrachte Helbok mit seiner
Frau dann auf deutschem Gebiet am Bodensee, und am 3. September 1934 schloss Hel-
330 So Franz Wetzel, Kernfragen der Eugenik, in : Natur und Kultur 30,9 (September 1933) 321–324, hier
324.
331 Wenn HelBok, Erinnerungen (Bibl.) 195, 224 mit seinem Verweis auf den sozialdemokratischen Eugeniker
Alfred Grotjahn vermutlich zum Ausdruck bringen will, dass namentlich die negative Eugenik jedenfalls
vor 1945 nicht nur ein Anliegen der Nationalsozialisten, sondern aller „progressiven“ Kräfte gewesen ist, so
muss ihm beigepflichtet werden, vgl. jüngst Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939–1945. Eine Ge-
sellschaftsgeschichte (Frankfurt/M. 2013) 21–24, oder etwa Michael Schwartz, „Proletarier“ und „Lum-
pen“. Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens, in : Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 42,4 (1994)
537–570, und das in seiner Gesamtheit dem Thema „Sozialismus und Eugenik“ gewidmete Heft 18 (2000)
der Zeitschrift „Mil neuf cent“. Der als Ur-Autor des Musicals „My Fair Lady“ noch heute bekannte Schrift-
steller und Sozialist George Bernard Shaw wollte noch vor Hitler „the idle and unfit“ vergasen, vgl. George
Watson, The Lost Literature of Socialism (Cambridge 22010) 97f. Zu den Anfängen der modernen Eugenik
vgl. jüngst Debbie Challis, The Archaeology of Race. The Eugenic Ideas of Francis Galton and Flinders
Petrie (London 2013).
332 Vgl. Kaudelka, Rezeption (Bibl.) 223 : „absurde[n] Behauptung“ ; Meixner, „… eine wahrhaft nationale
Wissenschaft der Deutschen…“ (Bibl.) 130.
333 Siehe zuletzt ausführlich Hans Schafranek, Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte
des NS-Putsches im Juli 1934 (Wien 2006) mit Literatur ; kurz auch Art. „Juliputsch 1934“, in : Österreich-
Lexikon 2 (wie Anm. 35) 152f.
334 HelBok, Erinnerungen (Bibl.) 110f.; Ludwig, „Ein sonniges Neuland“ (Bibl.) 50, schreibt überhaupt von
Helboks „Verwicklung in den Juliputsch 1934“, jedoch ohne eine Quelle anzugeben, ebd. nennt sie diesen Um-
stand auch als Begründung für seine Berufung nach Berlin, die jedoch bereits vor diesem Datum erfolgt war.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625