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252 Martina Pesditschek
beginn in Berlin günstiger gewesen. Im Dunstkreis des Kötzschke-Instituts befanden
sich nämlich damals mehrere ehemalige Schüler bzw. Assistenten Kötzschkes, die sich
selbst Hoffnungen auf eine Nachfolge ihres Lehrers in seiner Eigenschaft als sächsischer
Landeshistoriker gemacht hatten und sich nun einem neuen Leiter gegenübersahen, der
dem fremden „Stamm“ der Alemannen angehörte, das Lob einer „illyrisch-dinarischen“
„Rasse“ sang, auch ein Gefolge von Vertretern dieses „Stammes“ bzw. dieser „Rasse“
mit nach Leipzig brachte und dem alten Kötzschke-Seminar eine weitgehend andere
Richtung gab. Helbok seinerseits eignete gewiss nicht die Gabe der Empathie, und er
brachte trotz einem schon vorgeschrittenen Alter auch keine Erfahrung als Institutsleiter
mit. Eine solche Konstellation war und ist natürlich in hohem Maße konfliktträchtig,
und in solchen Fällen werden gerade auch bei grundsätzlicher weltanschaulicher Über-
einstimmung minimale sachliche Differenzen häufig zu fundamentalen Gegensätzen
aufgeblasen, wodurch dann die Nennung des wenig ehrenvollen eigentlichen Grundes
für den Zwist – nämlich persönliche Animosität – vermieden werden kann. Tatsächlich
haben im vorliegenden Fall beide Parteiungen offenbar durchaus über dasselbe ideologi-
sche Fundament verfügt : alle Kötzschke-Schüler, die sich als in Opposition zu Helbok
stehend erweisen sollten, waren geradeso wie Helbok selbst allerspätestens seit 1937 Mit-
glieder der NSDAP. Im Übrigen stellt sich auch die Frage nach der Loyalität Kötzschkes
selbst. Dieser hatte sich bei den Beratungen betreffend seine eigene Nachfolge zunächst
für Martin Lintzel eingesetzt, während der damalige Dekan, der Althistoriker Helmut
Berve388, der Kötzschke nicht unbedingt herzlich verbundene389 Mediävist Hermann
Heimpel390 und der seinem alten Kollegen bei der Gründung des ADV offenbar seit jeher
sehr wohlgesonnene Germanist Theodor Frings391 von Anfang an für Helbok eingetre-
Arbeiten nicht ein einziges Mal eine andere Bibliothek in Leipzig in Anspruch nehmen müssen. Alles war im
Hause !“
388 Zu diesem siehe zuletzt Pesditschek, Barbar (wie Anm. 28) passim, besonders 146 mit Literatur.
389 Vgl. Heitz, Rudolf Kötzschke (wie Anm. 13) 273.
390 Vgl. v.a. Heribert Müller, „Von welschem Zwang und welschen Ketten des Reiches Westmark zu erretten“.
Burgund und der Neusser Krieg 1474/75 im Spiegel der deutschen Geschichtsschreibung von der Weimarer
Zeit bis in die der frühen Bundesrepublik, in : Griff nach dem Westen (wie Anm. 265) 137–184, hier 171–
180 und die 171f. Anm. 118 angeführte weitere Literatur. Heimpel teilte mit Helbok eine Frankreich ent-
gegengebrachte Hassliebe : „das Land der feindlichen, der bösartigen, der heimlich geliebten Brüder“, siehe
Müller, ebd. 174f. und auch Kaudelka, Rezeption (Bibl.) 133–136. Helbok selbst bezeichnete etwa in
„Vom Werden des Volkstums in der Heimat des Führers“ (wie Anm. 36) 267 Frankreich als „Halbbrud[ers]
im Westen“, und in HelBok, Probleme der deutschen und der französischen Volksgeschichte (wie Anm.
317) 670 = Probleme der deutschen und französischen Volksgeschichte (wie Anm. 317) 22 heißt es, dass in
der Karolingerzeit „beide Völker sich in ihrem [sic, gemeint ist offenbar : in Bezug auf ihre] späteren Antlitze
voneinander scheiden wie Zwillinge in der Geburtsstunde“.
391 Dem Sprachwissenschaftler Frings mussten zweifellos auch Helboks Aufgeschlossenheit für und sehr gute
Kenntnisse in sprachwissenschaftlichen Belangen imponiert haben.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625