Page - 277 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
Image of the Page - 277 -
Text of the Page - 277 -
Adolf Helbok (1883–1968) 277
ses durchaus moderate Schicksal und versuchte 1945 und Anfang 1946 seinen Lehrstuhl
durch verschiedene Memoranden und andere Manöver zu retten. In einer „Vorstellung
Adolf Helboks gegen seine Amtsenthebung“ von 1945543 erklärte er seinen Parteibeitritt
folgendermaßen : Ich trat in die Partei ein, weil mir ihr Programm, das Bauerntum aufzu-
bauen, die Arbeiterschaft ernsthaft zu pflegen und damit jedem Deutschen, auch dem kleins-
ten, einen Platz an der Sonne zu sichern, neben der großdeutschen Tendenz, gefiel. Die Idee der
Volksgemeinschaft, in der der Einzelne seinen Willen dem Gemeinwohl unterwirft, erschien
mir als ein hohes und ideales Lebensziel des Volkes. Er erwähnte hier also (von der „groß-
deutschen Tendenz“ einmal abgesehen) lauter Motive, derentwegen man nach der Befrei-
ung vom Nationalsozialismus in die ÖVP, SPÖ oder auch KPÖ eintreten mochte. Und
in der Folge will er dann auch noch bald zu einem Österreich-Patriotismus ersten Ranges
bekehrt worden sein : In Leipzig wurde mir in meinem Schülerkreise, soweit er aus Österreich
stammte, aber nun täglich klarer, daß die Physiognomie des Deutschen im Reiche eine andere
geworden war und daß die Partei an diesem großstädtischen Erfolgs- und Beutejägertum in
steigendem Maße sich von den anfänglichen Ansätzen entfernte. Das Preußentum, seit dem
Ende des 16. Jhds. an erster Stelle im Reiche einer rapiden Verstädterung verfallend, schien
uns nur noch vom alten Ruhme zehrend[,] und wir empfanden täglich mehr, daß der Öster-
reicher an innerem Werte, durch die Ganzheitlichkeit seiner Anlagen, seine überragende und
vielseitige Begabung und durch die naturnah gebliebene Art seines Wesens den Deutschen im
Reiche übertreffe. Dies führte uns zur immer bewußteren Propagierung des Österreichertums
[…] Zu einer viel erwähnten Episode wurde ein kleiner Vorfall gelegentlich einer Exkursion
in der Bahnhofsrestauration in Ötz, wo ich der Köchin laut vor allem Publikum darlegte, daß
der „Rinderbraten“ und die „Kälberbrust“ nicht in ihre Speisekarte gehöre, und daß sie eine
bessere Deutsche wäre, wenn sie ihre österreichische Art nicht verleugnete[,] sondern hochhielte.
Was sein Verhältnis zur Partei anbelangte, vermeinte er sagen zu dürfen, daß ich wohl der
einzige Professor im Reiche war, der gegen das Amt Rosenberg, diese weltanschauliche Be-
treuungszentrale der Partei, zeitenweise einen bewußten Kampf führte mit der Tendenz, eine
Kampffront zu organisieren. Was seine damalige Etikettierung als „hervorragender Natio-
nalsozialist“ betraf, argumentierte er wie folgt : Als hervorragenden Nationalsozialisten […]
hätte man wohl zu bezeichnen : 1. jemanden, der wichtige Parteiämter inne hatte. Ich hatte
kein einziges […] Solange ich im Reiche war, war ich in Parteikreisen wegen der angeführten
Anprangerungen schief angesehen[,] und als ich in die Heimat zurückkam[,] habe ich mich
bewußt 544 von allem ferngehalten, habe in meinem Sommerhause in Götzens, das ich für den
Winter bewohnbar machen ließ, dauernde Wohnung genommen, um, wie ich im nächsten Be-
kanntenkreise wiederholt betonte, auch schon den Gedanken auszuschließen, mich irgendwie
543 UAI, PA AH, publiziert von Goller, OBerkofler, Universität Innsbruck (Bibl.) 72–76.
544 Unterstreichungen wie auch im Folgenden gemäß der Quelle.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625