Page - 282 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
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282 Martina Pesditschek
stand und die gewährte Pension wurden […] am 3. August 1947 von der Tiroler Landes-
hauptmannschaft mit der Begründung aufgehoben, daß Helbok deutscher Staatsbürger
sei.“563 Mit diesem Entscheid schienen Helbok und seine Frau in materieller Hinsicht auf
einmal vor dem Nichts zu stehen. Doch Helbok warf die Flinte nicht ins Korn. Immerhin
eignete ihm das Haus in Götzens samt einem dazugehörigen umfänglichen Grundbesitz,
den er offenbar bereits 1945 landwirtschaftlich zu nutzen begonnen hatte ; diese agrari-
sche Betätigung intensivierte er nun noch564. So versuchte er sich zunächst als „Ziegenhal-
ter“, was auch nur möglich war, „weil unsere Haushilfe, Lina Moser […], mit Ziegen wohl
vertraut war. […] Mit der Zeit lernte ich auch das Melken, als unsere Lina heiratete, und
schließlich machte ich alle Arbeiten allein. Und die Margit Gröhsl, arbeitsbewährt als La-
gerführerin des Reichsarbeitsdienstes, sprang oft in alle Stall- und Feldarbeit ein. Das war
eine frische, zugreiferische Tüchtigkeit, die in ihrer Voraussetzungslosigkeit merkwürdig
abstach von jenem Typus akademischer Weiblichkeit, der sonnenschirmbeschützt zarte,
blasse Häutchen pflegte, in den Tagen meiner Studentenzeit“565. Schließlich schritt er
„auch an die Einrichtung eines Geflügelhofes[,] und Hennen, Gänse und Enten bevölker-
ten bald meine Umgebung. […] Mit der Zeit war eine ganze Siedlung von Ställen bei mir
erwachsen, nicht schöner als ein Hüttendorf, das unfreundliche Stimmen ‚Helboksied-
lung‘ nannten“566. „Zwar war es manchmal zum Zerbrechen, wenn die wirtschaftlichen
Sorgen sich häuften und man empfinden mußte, daß jeder gleichalterige Hilfsarbeiter
mit seiner Altersrente doch gesicherter dastand“567. Aus diesem Grund ließ er gleichzeitig
nichts unversucht, um doch noch zu einer Anerkennung als österreichischer Staatsbürger
und somit zu einer Wiederaufnahme der Pensionszahlungen zu gelangen. Woferne er
dies nicht etwa schon 1945 getan hatte, so konvertierte er jetzt wiederum zurück zum
563 Johler, „Tradition und Gemeinschaft“ (Bibl.) 589. Vgl. AdR, PA AH, fol. 99, 104, 106 ; UAI, PA AH, Be-
scheid der Tiroler Landesregierung vom 30.09.1949 ; AdR, PA AH, fol. 101–103. Helbok vermutete hinter
diesem Entscheid die Intrige eines alten persönlichen Feindes, des ehemaligen Kollegen an der Innsbrucker
Universitätsbibliothek (1919–1938) und erst 1946 in Innsbruck habilitierten Volkskundlers Anton Franz
Dörrer (1886–1968) ; vgl. Johler, „Tradition und Gemeinschaft“ (Bibl.) 598 Anm. 25 und v.a. 600 Anm.
87. Zu Dörrer vgl. auch noch Art. „Dörrer, Anton Franz“, in : Österreicher der Gegenwart (wie Anm. 484)
45f.; Anton Dörrer, Anton Dörrer, in : Österreichische Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdar-
stellungen 2, hg. v. Nikolaus Grass (Schlern-Schriften 69, Innsbruck 1951) 9–46 ; Gertrud Pfaundler-
Spat, Tirol-Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol (Innsbruck/
Wien/Bozen, vollständig überarb. und erg. Neuaufl. 2005) 77 ; Leopold Schmidt, Anton Dörrer †, in :
Österreichische Zs. für Volkskunde 71 = NF 22 (1968) 115f. (gerade aus diesem Nachruf aus der Feder eines
Freundes wird ersichtlich, dass Dörrer in der Tat kein einfacher Charakter gewesen sein kann).
564 Vgl. HelBok, Erinnerungen (Bibl.) 177–191.
565 Ebd. 178.
566 Ebd. 187–190.
567 Ebd. 186.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625