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336 Gudrun Wlach
von Seiten des Publikums keiner besonderen Beliebtheit. Akademien und Kunstgewerbe-
schulen sperren ihre verödeten Gipssäle und entledigen sich der Abgüsse als eines über-
flüssigen Ballastes. Eine überaus bezeichnende Tatsache : Das Gipsmuseum des Institutes
ist statutengemäß an jedem Wochentage durch zwei Stunden für Zeichenübungen der
Hörer der Prager Kunstakademie geöffnet. In den nunmehr fast sechs Jahren, in denen ich
Vorstand des Institutes bin, hat sich noch nie ein Hörer dieser Anstalt hier sehen lassen.
[…] Denn sie [die Abgusssammlung] ist zur Zeit die einzige Sammlung von Abgüssen auf
dem Boden der tschechoslowakischen Republik, der einzige Ort, an dem man in deren
Bereich […] die Ewigkeitswerte griechischer Kunst in sich aufnehmen kann. […] Und
wenn auch heute in unserer so materialistisch eingestellten Zeit das Interesse für antike
Kunst, für antike Kultur leider sehr zurückgetreten ist, wenn vor allem in der Tschecho-
slowakei das humanistische Bildungsideal merkwürdigerweise als deutsch verschrien und
deshalb aus politischen Gründen unbeliebt geworden ist, so ist doch zu hoffen, daß auch
in dieser Hinsicht ein Rückschwingen des Pendels nicht allzu lange auf sich warten läßt.“
Praschniker fühlte sich in Prag im Ganzen gesehen nicht wohl128. Obwohl er die enge
Freundschaft zu dem Historiker Hans Hirsch erwähnte, der von 1918 bis 1926 in Prag
wirkte, dürfte er später in Wien kaum Kontakt zu Hirsch und dem Institut für österrei-
chische Geschichtsforschung gehabt haben. Er selbst gehörte ja nicht zu den Absolventen
der Kurse dieses Instituts, die ein besonders starkes Netzwerk bildeten. Hirsch war aber
dann 1928 in Wien Mitglied der Kommission, die Praschniker für das Extraordinariat als
Nachfolger von Löwy vorschlug. Allgemein entsteht für diese Prager Zeit der Eindruck
von Unzufriedenheit. Es dürfte zu einem großen Teil mit Spannungen zwischen Deut-
schen und Tschechen zu tun haben, vielleicht auch mit schlechten Arbeitsbedingungen
an der Universität und mangelndem Interesse für das Fach. Dazu kam, dass Praschniker
in dieser Zeit von seiner in Wien lebenden Familie getrennt war. Der Grund, warum
die Familie nicht mit ihm nach Prag kam, war laut Praschniker die Berufstätigkeit sei-
ner Frau, in den 1920er Jahren sicher ungewöhnlich für die Ehefrau eines Ordinarius.
128 Praschniker erwähnte dies auch in einem Schreiben an den Dekan in Jena, den er im Dezember 1929, nach
seiner Berufung an die Thüringische Landesuniversität und noch bevor er die Stelle angetreten hatte, davon
in Kenntnis setzte, dass er für Wien eine Zusage habe : Als Löwy vor nunmehr zwei Jahren von seiner Lehrkanzel
schied, da wandten sich einige Mitglieder der Fakultät zunächst privat an mich nach Prag, die wussten, dass ich
[mich] aus verschiedenen Gründen in Prag nicht wohl [fühl]te, mit der Frage, ob ich einen Ruf an die Lehrkanzel
annehmen würde […] (UAJ, M 631 : Praschniker an Dekan, Prag, 01.12.1929, fol. 494r).
128a Im Personalstandesblatt Praschniker 1945 ist seine Frau als Firmengesellschafterin eingetragen : AdR, Un-
terricht, PA Praschniker, fol. 2. Die Firma Alex. Toldt & Sohn war ursprünglich eine Trauerwarenhandlung,
später ein Seiden- und Modewarengeschäft. Siehe z.B. Lehmanns allgemeiner Wohnungsanzeiger 1923, Bd.
2, Teil 2, Protokollierte Firmen, 257 : Alex. Toldt & Sohn, Trauerwarenhandlung, I. Tuchlauben 15. Im
Wiener Salonblatt Nr. 4, 23.02.1936 scheint die Firma als Modesalon auf. Zur Familie Toldt siehe UAW, PA
Praschniker 2933, fol 102 : Anzeige über Verheiratung.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625