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342 Gudrun Wlach
Schwerpunkte von Praschnikers wissenschaftlicher Arbeit in dieser ersten Zeit seiner
Rückkehr nach Wien waren also Trysa und Belevi, Skulpturen und Bauplastik zweier
Grabmonumente in Kleinasien. In Rezensionen und kleineren populärwissenschaftli-
chen Arbeiten wurden nun zusätzlich zu den deutschnationalen Äußerungen und dem
Bedauern über den gegenwärtig geringen Stellenwert der Antike in den 1920er Jahren
auch eine Herabsetzung anderer, von ihm als fremd und primitiv empfundener Kul-
turen sowie eine „Blut- und Boden-Ideologie“ sichtbar, etwa in der Rezension zu einer
Publikation antiker Skulpturen in Budapest167 : „Wozu Antikensammlungen, wozu eine
neue zu vielen anderen, wozu zerschlagene Altertümer in Marmorsäle stellen, wenn
draußen das Leben in brausendem Strome vorüberrollt ? […] Vor ein paar Dezennien
noch holte sich die moderne Kunst frischen Atem aus den Antikensälen. Heute steht
das Publikum bewundernd vor Negerplastiken, und unsere Kunst sucht ihre Zuflucht
in der Vortäuschung naiver, künstlerischer Primitivität. […] Doch auf ein Wellental
folgt immer ein Wellenberg, und wer Gefühl dafür hat, sieht den nächsten schon he-
ranrollen, der die derzeitigen Idole wieder versinken lassen wird. Und wieder wird es
wohl die antike Kunst sein, die uns aus dem Wirrwarr, in dem die Kunst der letzten
Jahrzehnte hin- und hergezerrt wurde, herausführen wird.“ Ähnlich formulierte er in
einem Aufsatz über „Antike Kunst und wir“168 : „Erst die letzen fünf Jahrzehnte haben
dann endlich einen wirklichen Umschwung in unserer Auffassung der Antike, eine
volle Loslösung von dem klassizistischen Ideal gebracht, […] So ist unser Verhältnis zu
ihr ein anderes geworden. Sie ist nun ein Objekt historischer Forschung neben vielen
anderen, nicht mehr eine Herzensangelegenheit. Unendlich viel drängt sich an uns, die
Welt ist klein geworden, und indische, ostasiatische Kunst oder die afrikanischer Neger
wird dem Publikum, das auch heute eigentlich nur die Antike des Klassizismus kennt,
ebenso angepriesen […]. Wir wissen recht wohl, daß jedes Volk seine Kunst aus sich
selbst hervorbringen muß, wissen, daß jede wahre Kunst aus ihrem eigenen Blut und
Boden erblüht.“
Das ÖAI, als dessen Direktor seit 1910 Reisch fungierte, war in der Zeit der Ersten Re-
publik infolge massiver Einsparungen in seiner Existenz gefährdet. Es gab Bestrebungen,
das Institut aufzulösen und an eine andere Institution anzugliedern. Mit der absehbaren
Emeritierung von Reisch wurden im Lauf des Jahres 1933 Schritte zur Neuordnung ge-
setzt. Das Professorenkollegium der Philosophischen Fakultät überbrachte dem Ministe-
167 Camillo Praschniker, Rez. zu : Anton Hekler, Die Sammlungen antiker Skulpturen in Budapest (Wien
1929), in : Deutsche Literaturzeitschrift 1931, Heft 3 (18. Jän.), 118–121.
168 Camillo Praschniker, Antike Kunst und wir, in : Mitteilungen des Vereins der Freunde des humanistischen
Gymnasiums 32 (1934) 32–45 (Vortrag), hier 35f.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625