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376 Gudrun Wlach
obwohl meine Abstammungspapiere zunächst in Ordnung schienen und ich anlässlich der
Uebernahme in den Reichsdienst mit ihnen die arische Abstammung nachgewiesen zu haben
glaubte, vor Kurzem zur schmerzlichen Erkenntnis kommen musste, dass meine Grossmutter
mütterlicherseits, obwohl ihre Eltern katholisch und sie selbst gleich bei der Geburt getauft
worden war, jüdischer Abstammung war. Der Gedanke, meinen Posten auf Grund einer Täu-
schung innezubehalten, war mir unerträglich und so brachte ich diese Tatsache dem Dekan
meiner Fakultät pflichtgemäss zur Kenntnis. Ich weiss, dass ich die gesetzlichen Konsequenzen
zu tragen habe, so hart sie mich auch treffen mögen. Nichtsdestoweniger wage ich doch, Sie
inständigst zu bitten, mich in meiner Stellung zu belassen. Die Begründung dieser Bitte möge
in einer kurzen Schilderung meines Lebenslaufes gegeben werden.
Ich wurde am 13. Oktober 1884 in Wien geboren. Mein Vater – er ist 1938 als Direktor
der Südbahngesellschaft i.R. gestorben – entstammte einer krainischen Familie mit durchwegs
bäurischen Ahnen. Mein Grossvater kann als Vorkämpfer für das Grenzlanddeutschtum be-
zeichnet werden. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass sein Denkmal in Stein (jetzt Südkärn-
ten) beschmutzt und entfernt wurde. Ich wurde von meinen Eltern als deutscher Junge erzogen,
lernte schon in der Jugend am Gymnasium in Cilli (Untersteiermark) den Kampf ums nati-
onale Dasein kennen. Zur Charakteristik der Haltung meines Vaters sei angeführt, dass ihm,
als er nach Abschluss des Weltkrieges seine Besitzung in Krain wieder aufsuchen wollte, ihm die
jugoslavischen Behörden die Zureise lange verweigerten, das Gut unter Sequesters stellten und
die Zeitung Jutro in Laibach schrieb : Wenn der deutsche Direktor es wagen sollte, nach Krain
zu kommen, solle man ihn erschlagen. Die Familie meiner Mutter stammt aus Böhmen, die
Vorfahren des Grossvaters waren Müller gewesen. Er selbst ist 1887 als Finanzlandesdirektor
in Graz gestorben.
Studiert habe ich an den Universitäten Innsbruck, Berlin, Wien. In Innsbruck war ich Mit-
glied der schlagenden Verbindung „Staufen“. Nach abgelegter Lehramtsprüfung und als Dr phil
ging ich als Staatsstipendiat auf zwei Jahre nach dem klassischen Süden, war dann Universi-
tätsassistent in Wien, später Sekretär des Oesterr. Archaeol. Institutes. 1914 habilitierte ich mich
an der Wiener Universität für das Fach der Klassischen Archaeologie. Anfang 1915 rückte ich als
Kriegsfreiwilliger ein, war zuerst 1915/6 in Südtirol, wo ich als Fähnrich bei Riva die silberne
Tapferkeitsmedaille 2. Kl. erhielt. Dann nahm ich, unabkömmlich gestellt, an einer wissenschaft-
lichen Balkanexpedition der Wiener Akademie der Wissenschaften teil. Schliesslich war ich, wie-
der als Soldat dem 19. Korps zugeteilt und als Archaeologe und Denkmalpfleger im Gebiete der
Vojussafront in Albanien tätig. Ich zitiere zu dieser meiner Tätigkeit eine Stelle aus dem Vorwort
meines Buches, Muzakja und Malakastra : „Vermerke „Grabung wegen Alarm eingestellt“ oder
„Unterbrechung wegen feindlichen Feuerüberfalles“ dürften in Grabungstagebüchern nicht zu
zahlreich sein und die wiederholten Streifzüge in dem zwischen den beiden Fronten gelegenen
Gebiet waren von Patrullengängen kaum sehr verschieden.“ Wäre Oberst G. Veith, der damalige
Artilleriekommandant des Gebietes noch am Leben, so könnte er darüber Auskunft geben. Er
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625