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Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941) 419
im August 1929 nach Genf, 1932 nach Edinburgh oder 1936 nach Krakau (Kraków) zu
entsprechenden Konferenzen bzw. Tagungen. So sehr sie sich im „Verband der Akademi-
schen Frauen“ Österreichs engagierte, nahm sie in diesen Jahren zur Frauenbildung und
zum Frauenstudium eine eher konservativ-elitäre Haltung ein, indem sie sich angesichts
der schwierigen Weltwirtschaftskrise für eine Beschränkung des Zugangs besonders von
Frauen aus der Mittelschicht zu den Universitäten aussprach, „weil nur für wenige und für
Erlesene Arbeit vorhanden ist.“ Daher forderte sie u. a. die Schaffung neuer Frauenberufe,
„die keineswegs ein Hochschulstudium einfordern.“80
Nicht zuletzt scheint sich Patzelt früh für die Ideen des Nationalsozialismus begeistert
zu haben und vor dem März 1938 „illegale Nationalsozialistin“ in Österreich gewesen zu
sein, wie einem Bericht über ihre Person zu entnehmen ist, der anlässlich der drohenden
Nichtverlängerung ihres Dienstverhältnisses durch Freunde und Kollegen verfasst wurde
und an den „Reichsstatthalter“ Arthur Seyß-Inquart gerichtet war81. Darin heißt es : Sie
hat aber auch in den letzten Jahren der ärgsten Unterdrückung der Partei vielen verfolgten
Studenten und Studentinnen geholfen, Schuhe und Kleider für sie gesammelt und ihnen durch
ihre zahlreichen Verbindungen Arbeitsstellen verschafft, oft unter schwerer Gefährdung der
eigenen Existenz. Der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen an unserer
Universität hat sie persönlich ein Lokal zur Verfügung gestellt und durch ihre Bemühungen
80 Erna Patzelt, Probleme des Frauenhochschulstudiums, in : Neue Freie Presse Nr. 25538 M (1936) 1f. Eine
elitäre bzw. harsche persönliche Grundhaltung wird ihr verschiedentlich auch von anderer Seite zugeschrieben,
vgl.: Hammerschmid, Die Rolle (wie Anm. 75) 103 mit Anm. 97 : „schroff ablehnend“ sowie „übler Cha-
rakter […], geizig, am hohen Ross sitzend, nicht sozial, sondern auf Spekulation eingestellt“, wie auch “das
liebliche Fräulein Patzelt“, nach : Peter Schöttler, Lucie Varga – eine österreichische Historikerin im Um-
kreis der Annales (1904–1941), in : Lucie Varga, Zeitenwende. Mentalitätshistorische Studien 1936–1939, hg.
übersetzt u. eingel. v. Dems. (Frankfurt/M. 1991) 13–110, hier 36, wenngleich diese Äußerungen jeweils in
den entsprechenden Kontext eingeordnet werden müssen. Doch auch als „nicht sehr nette“ Person bei : Marlen
Schachinger, Hertha Firnberg. Eine Biographie (Budapest 2009) 49. Zur Problematik dieser „Biographie“
siehe die Rezension von Eva Blimlinger, in : Falter 44, Jg. 2009, 24.
81 PA Patzelt (wie Anm. 4) fol. 143r–144r. Zu den Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen gehörten aus dem
engen Kollegenkreis der Betroffenen Dopsch, die Historikerin und Přibam-Schülerin Mecenseffy und Karl
Jelusic, der in seiner Eigenschaft als Bibliothekar des Dopsch-Seminars unterschrieb. Weiterhin gaben ihre
Unterstützung u. a.: Arthur Marchet, „Sachwalter“ des Nationalsozialistischen Lehrerbundes an der Univer-
sität Wien ; Martin Schneider, Landesleitung für Grenz- und Auslandsarbeit in der Nationalsozialistischen
Frauenschaft Wien ; K. Klaftenegger, Hochschulführerin der Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Stu-
dentinnen, [ihre Schwester] Pg. Käthe Hye sowie weitere Parteigenossen. Der Brief selbst ist undatiert, trägt
lediglich einen ministeriellen Eingangsstempel vom 28.04.1938, der kommissarische Rektor der Universität,
Fritz Knoll, befürwortete aber die Eingabe schon unter dem Datum des 09.04. (ebd. fol. 146r). Daher ha-
ben die unterzeichnenden Personen sehr rasch nach dem „Anschluss“ Österreichs reagiert, um angesichts der
veränderten politischen Lage die Stellung Patzelts an der Universität Wien verbessern zu können. Siehe dazu
auch weiter unten. Dopsch selbst unternahm in dieser Zeit gleichfalls Anstrengungen, um die eigene Lage zu
verbessern, vgl. dazu Buchner, Dopsch (wie Anm. 1) 166.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625