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420 Anne-Katrin Kunde und Julia Richter
verhindert, dass der Verband Deutscher Hochschülerinnen aufgelöst wurde, der den Deck-
mantel für die illegale Arbeit abgab. Durch geheime Berichte und die Anregung ausländischer
Interventionen erleichtertere sie das Los der eingekerkerten österreichischen Nationalsozialis-
ten. Wie viel sie von den Bücher- und Lebensmittelspenden an die Gefangenen aus eigener
Tasche bezahlte, können wir nicht abschätzen. […] Von ihrer Studienzeit angefangen, in der
sie schon 1916 den Verband Deutscher Hochschülerinnen gegründet hat, arbeitete Pg. Patzelt
seit zwanzig Jahren ununterbrochen für die nationale Bewegung, in der Verbotzeit aber hat
sie ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst der nationalsozialistischen Idee gestellt, ohne je ihre
Person in den Vordergrund zu rücken“82.
Da Patzelt aufgrund eines längeren Aufenthaltes in den USA den „Anschluss“ Öster-
reichs und die unmittelbar folgenden Ereignisse an der Universität Wien nicht persönlich
erlebt hatte, sondern nach ihrer Rückkehr plötzlich mit der veränderten Situation an der
Universität und ihrer persönlich schwierigen beruflichen Zukunft konfrontiert wurde,
könnte sie sich in der Folgezeit vom nationalsozialistischem Regime distanziert haben.
Dennoch ist sie als frühe Parteigängerin der Nationalsozialisten anzusehen, wenn sie auch
die Zahlung ihrer Mitgliedsbeiträge an die NSDAP verweigerte83. Sie selbst gab im Mai
1945 freilich an, in keinerlei Verhältnis zur NSDAP gestanden zu haben und verneinte
auch eine illegale Betätigung während der Verbotszeit, was offenbar nicht den Tatsachen
entsprach84.
82 PA Patzelt (wie Anm. 4), fol. 143v.
83 Siehe dazu Gernot Heiss, Von Österreichs deutscher Vergangenheit und Aufgabe. Die Wiener Schule der Ge-
schichtswissenschaft, in : Willfährige Wissenschaft : die Universität Wien 1938– 945, hg. v. Dems., Siegfried
Mattl, Sebastian Meissl, Edith Saurer, Karl Stuhlpfarrer (Wien 1989) 39–77, hier 56f. Nach Heiß
nahm sie ihre Mitgliedskarte der NSDAP im Sommer 1941 nicht an, die ihr rückwirkend zum 01.05.1938
mit niedriger Nummer zuerkannt worden war, nachdem sie die Mitgliedsbeiträge nur bis September 1939
gezahlt hatte. Als Grund für das Aussetzen der Zahlungen nimmt Heiß den Kriegsausbruch an, während die
entsprechenden Parteifunktionäre die Verärgerung über die widrigen Beschäftigungsverhältnisse vermuteten.
Hinsichtlich ihrer Parteimitgliedschaft gab Patzelt an, dass der Antrag nicht von ihr persönlich, sondern in
ihrem Namen durch ihren Bruder oder durch Freunde gestellt worden sei (siehe Hammerschmid, Die Rolle
[wie Anm. 75] 105), was angesichts ihrer Abwesenheit von Österreich in der unmittelbaren Zeit des „An-
schlusses“ möglich wäre. Freilich ist nicht anzunehmen, dass dies ohne ihr Wissen geschah. Nach 1939 wurde
„[D]ie ‚vorgesehene Aufnahme (… – offenbar ohne besondere Folgen –) für ungültig erklärt‘, und so ge-
löscht, daß in politischen Beurteilungen ab 1942 weder die Parteianwärterschaft noch die Ablehnung erwähnt
sind“, so Heiss, Von Österreichs deutscher Vergangenheit 56. Siehe auch : Ders., Die „Wiener Schule der
Geschichtswissenschaft“ im Nationalsozialsozialismus : „Harmonie kämpfender und Rankescher erkennender
Wissenschaft“ ?, in : Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus (wie Anm. 4) 397–426.
84 PA Patzelt (wie Anm. 4) fol. 53r und 54r (Personalblatt). Wohl aber merkte sie ihre zweimalige Ladung vor
das Sondergericht an, das sie als politisch unzuverlässig erklärt habe. Zu dieser Anzeige „nach dem Heimtücke-
gesetz“ im Jahr 1943 vgl. Heiss, Von Österreichs deutscher Vergangenheit (wie Anm. 83) 57, sowie Ham-
merschmid, Die Rolle (wie Anm. 75) 104. Das Verfahren wurde am 07.08.1944 eingestellt, PA Patzelt (wie
Anm. 4) fol. 65r, 66r.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625