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422 Anne-Katrin Kunde und Julia Richter
musste : Anlässlich eines bestimmten Falles habe ich im hiesigen Ministerium […] die Frage
gestellt, wie sich das Reichsministerium für Erziehung etc. in Berlin zur Bestellung weiblicher
Assistenten verhalte, wobei ich auch auf den Ihre Person betreffenden Antrag hinwies. Es wurde
mir bedeutet, dass das genannte Ministerium solchen Anträgen gegenüber sich grundsätzlich
ablehnend verhalte90. Ähnlich wie die Grazer Historikerin Mathilde Uhlirz konnte also
auch Patzelt aus ihrer Nähe zum nationalsozialistischen System keinen Gewinn ziehen,
im Gegenteil war sie ab 1939 de facto arbeitslos und auf geringe Unterhaltsbeiträge an-
gewiesen91. Als weiblicher Assistent und für eine Universitätskarriere als zu alt erachtet,
gelang es ihr aber im Mai 1940 wiederum als a.o. Professorin bestellt zu werden, um
sich im Folgenden durch einzelne Lehraufträge zu finanzieren92. Erst ab Januar 1941
konnte sie wieder regelmäßige Diäten beziehen93. In den folgenden Trimestern hielt sie
zunächst wieder Vorlesungen zur Agrar- und Sozialgeschichte des Mittelalters, wandte
sich schließlich verstärkt der Wirtschaftsgeschichte Amerikas zu bzw. gab Weltgeschichtli-
che Überschaue[en]. Ab dieser Zeit scheint sie sich aber zunehmend ihrem Wirkungskreis
entzogen zu haben, wofür mehrere krankheitsbedingte Kuraufenthalte (Frühjahr 1941
und 1943, Winter 1943/44, Jahresbeginn 1945), aber auch der Antrag einer abermaligen
Amerika-Reise, sprechen94.
Nach Kriegsende widmete sie sich wiederum außerordentlich engagiert der Wieder-
aufnahme des Lehrbetriebs und dem Wiederaufbau des „Seminars- für Wirtschafts- und
Kulturgeschichte“ sowie dessen Bibliothek und trat im November 1947 die zuvor verhin-
derte Amerika-Reise an95. Selbstbewusst stuft sie ihre Unternehmung wie folgt ein : als
90 Ebd. fol. 139r, Schreiben vom 23.08.1938. Da ihr bereits am 05.08. eine Weiterbeschäftigung grundsätzlich
nicht in Aussicht gestellt worden war, ebd. fol. 137r, hatte sie sich nach den Gründen für diese Haltung erkun-
digte, da sie doch seit mehr als sechzehn Jahren [ihren] Dienst klaglos versehen habe, ebd. fol. 132r. Im Schreiben
des Dekans an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 14.07. hatte er sie als überal-
terten Assistenten […], [der] den Weg in die beamtete Hochschullaufbahn nicht gefunden habe, bezeichnet, schlägt
aber vor, da sie über sehr gute persönliche Beziehungen besonders zum englisch sprechenden Ausland verfügt, […]
für Auslandspropaganda einzusetzen, wofür sie ungemein geeignet sei, zumal eine Kündigung ohne gleichzeitige
anderweitige Versorgung nicht zu verantworten ist, ebd. fol. 136. Eine solche Stelle, wie auch die einer Gymnasi-
allehrerin, schlug sie aus, siehe : Hammerschmid, Rolle (wie Anm. 75) 105.
91 Sie stellte noch im Dezember 1938 beim Fürsorgeamt Wien einen Antrag auf Unterstützung, siehe : Ham-
merschmid, Rolle (wie Anm. 75) 101.
92 PA Patzelt (wie Anm. 4) fol. 126r.
93 Ebd. fol. 117r.
94 Ebd. fol. 71r, 76r, 77r bzw. 91r. Bzw. ebd. fol. 80r die Ablehnung der Amerika-Reise vom 10.07.1941. Mögen
diese Erkrankungen auch ein Anlass zum Rückzug gewesen zu sein, waren diese doch real, siehe ihr Schreiben
vom 03.02.1945, in dem sie schwere Polyneuritis sowie chronische Gelenksentzündung angibt, ebd. fol. 63r.
95 Wie sie betonte, reiste sie auf Einladung aus den USA und ohne jeden Devisenanspruch auf Kosten amerikani-
scher Kreise, siehe ebd. fol. 40r. Unterstützung fand sie hierbei vor allem durch die amerikanische Cembalistin
Lucie Wallace-Curzon, die sie während deren Studienaufenthaltes in Wien 1923/24 kennengelernt haben
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625