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428 Anne-Katrin Kunde und Julia Richter
Bereits im Jahr 1933 besprach der damalige Dozent und spätere Sozial- und Wirt-
schaftshistoriker an der Universität Gent, Charles Verlinden, ihre Arbeit, was im Stile der
Zeit aber eher eine Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer Untersuchung darstellt. Er
erlaubte sich aber eine kleine Korrektur : „En France, c’est Aug. Comte qui d’après Mad.
V., met fin à la haine du moyen âge […]. Nous croyons cependant que c’est plutôt Cha-
teaubriand […] qui peut être considéré comme le ‚terminus ad quem‘ de la phobie dont
le moyen âge était l’objet.“ Insgesamt hält Verlinden das Werk aber für einen nützlichen
Beitrag. „Dans l’ensemble le livre de Mad. V. est un travail intéressant et bien composé
qui apporte, principalement à l’histoire des idées, une contribution nouvelle et utile“123.
Auch Marc Bloch rezensierte ihre Doktorarbeit, kam aber zu einem weniger günstigen
Ergebnis. Seine Rezension der Arbeit der „Mademoiselle“, seiner zukünftigen Mitarbei-
terin bei den Annales, kommt eher einem Verriss gleich : „En dépit d’un grand luxe de
citations, le livre n’apporte sur le fond du sujet, rien de très nouveau. […] A accueillir de
pareils travaux, une collection scientifique accroît aisément le nombre de ses fascicules ;
mais y gagne-t-elle en sérieux ?“124 Vargas fast frecher, ungewöhnlich schneller, unangepass-
ter und kritischer Stil, der bereits ihre Dissertation geprägt hatte, war für die Rezeption im
Kreis der das Feld beherrschenden Historiker offenbar nicht immer zuträglich. Ihr Ton ist
bemerkenswert treffsicher und selbstbewusst. Der Problemaufriss und die Heranführung
an Fragestellungen, der dramatische Aufbau sind stets zugespitzt, fast literarisch, wie hier
im Vorwort ihrer Dissertation : „Welches sind nun die Assoziationen, die in unserem Geist
durch den Ausdruck vom ‚finsteren Mittelalter‘ ausgelöst werden ? Wir denken zunächst
wohl an geistigen Terror, Glaubensfanatismus, lächerlichen und schrecklichen Aberglau-
ben – ins Werk gesetzt von einem macht- und geldgierigen Klerus zu eigenem Nutz und
Frommen. Wir denken an hierarchischen Prunk und geknebelte Vernunft. Wir denken
ferner an ein Kulturvakuum. […] Die Wissenschaft dieser Epoche, die Scholastik, erschien
verbohrt und lebensfern, ihre Probleme abstrus und albern, jedes wahre Wissen glaubte
man zu ihrer Zeit erloschen. Woher diese zwei Vorstellungsgruppen, die religiöse und die
kulturelle, stammen, die sich zum Begriff des ‚finsteren Mittelalters‘ zusammenschließen,
und wann sie es tun, das will ich versuchen aufzuzeigen. Dabei wird sich herausstellen, daß
seine letzten Wurzeln ins Mittelalter selbst zurückreichen ; ferner, daß es keine nach Objek-
tivität trachtende Geschichtsschreibung war, die ihn aus der Vergangenheit abstrahiert hat,
daß er vielmehr von einer oppositionellen öffentlichen Meinung in wildem Widerstreit
gegen ein noch sehr mächtiges, noch sehr gegenwärtiges System geschaffen wurde. Der
Kampf war heiß und das Bild des Gegners spiegelte sich in arger Verzerrung“125.
123 In : Le Moyen âge : bulletin mensuel d’histoire et de philologie 43 (1933) 244.
124 In : Revue historique 170 (1932) 345.
125 Varga, Untersuchung (wie Anm. 112) 4.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625