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438 Anne-Katrin Kunde und Julia Richter
mutter nach Budapest geholt ; ihr Vater, Josef Varga, wurde im Jahr 1944 von deutschen
Soldaten ermordet ; Malvine Tafler-Stern, Lucie Vargas Mutter, wurde im selben Jahr von
Pfeilkreuzlern in der Donau ertränkt.
Zusammenfassung
Erna Patzelt starb im hohen Alter von 92 Jahren. Lucie Varga wurde keine 37 Jahre alt. So
unterschiedlich ihre Biographien bis dahin verlaufen waren, drohte ihnen nach ihrem Tod
bis in die 1990er Jahre beinahe das gleiche Schicksal des Vergessenwerdens. Patzelt fand
vergleichsweise früh im Zuge des einsetzenden Interesses an (universitärer) Frauenbildung
wieder Beachtung, während Varga im Umfeld der Recherchen um die Annales-Begründer
Febvre und Bloch erst ca. 50 Jahre später wiederentdeckt wurde. Durch die Bemühungen
Peter Schöttlers um Vargas Biographie, der wesentlich auch die Angaben ihrer Tochter
zu Grunde liegen, ist heute vergleichsweise viel über die jung verstorbene Historikerin
bekannt, deren gesamter Nachlass als gering bezeichnet werden muss. Aber auch Patzelt
hat, obgleich ihr Werkverzeichnis weit umfassender ist, wenig archivalisches Material hin-
terlassen ; dieser Corpus ist zudem überwiegend als Verwaltungsschriftgut zu bezeichnen
und wurde im engen Zusammenhang mit ihrem Mentor überliefert162.
Obwohl also keine sogenannten Selbstzeugnisse beider Frauen vorliegen, treten gleich-
wohl konturierte Persönlichkeiten aus dem wenigen Material hervor. Varga lässt sich als
durchweg selbständig agierende Frau beschreiben, die sowohl ihr Privatleben eigenständig
gestaltete bzw. gestalten musste, als auch ihrem wissenschaftlichen Interesse eine eigene
Richtung zu geben vermochte. Patzelt ist hingegen nahezu ausschließlich in ihrem Wir-
ken als Assistentin Dopschs dokumentiert. Trotzdem ist auch Varga schicksalhaft mit ih-
rem Förderer verbunden. Der wie auch immer begründbare Bruch innerhalb dieser oder
mit diesen männlichen Karrieren führte unweigerlich zur Stagnation oder zum Scheitern
dieser Wissenschaftlerinnen, unabhängig davon, welcher Religion oder welchem politi-
schen Lager sie zuzurechnen sind. Ein Umstand, der für weitere weibliche Wissenschafts-
karrieren lange Zeit noch Gültigkeit haben sollte.
162 Im Gegensatz zu Varga sind die verschiedenen Überlieferungszufälle und -chancen für Patzelt nicht bekannt.
Möglicherweise hatte sie eine Archivierung ihres persönlichen Nachlasses auch nicht beabsichtigt.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625