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Richard Wolfram (1901–1995) 485
ner Promotion, in der er sich mit den Beziehungen des politischen Schriftstellers Ernst
Moritz Arndt (1769–1860)21 zu Schweden auseinandersetzte. Er hatte damit kein tradi-
tionelles germanistisches Thema gewählt, sondern ein historisch-ethnografisches, in dem
er seine Liebe zu Schweden mit seiner germanophilen Suche nach Geschichtsmytholo-
gie verbinden konnte. Die Wahl Arndts ist bezeichnend für das Verständnis von völki-
scher Germanistik jener Jahre und passt in das von Wolfgang Schivelbusch beschriebene
Konzept einer „Kultur der Niederlage“22 nach 1918. Es ist kein Zufall, dass das Werk
des politischen Publizisten Arndt nach dem Ersten Weltkrieg eine kleine Renaissance in
Deutschland erlebte23. Arndts Schriften waren unter dem Eindruck der militärischen Nie-
derlagen gegen Napoleon und der daraus resultierenden und als Schmach empfundenen
französischen Besetzung deutscher Territorien entstanden und beruhen auf Vorstellun-
gen von der „germanischen Prägung“ der Deutschen und einer Zusammengehörigkeit
von Skandinaviern und Deutschen als den „germanischen Völkern“. Sie sind „Vorläufer
des deutschen Nationalismus“24 und wurden nach 1918 zu einer Projektionsfläche für
die „völkische“ Rechte. Der glühende Nationalist Arndt, in dessen Werk sich nationale
und rassische mit antisemitischen Ressentiments und Germanenkult zu einem gefährli-
chen propagandistischen Konglomerat verbanden, übte mit seinem auf Sprache und Ge-
schichte gegründeten Nationsbegriff und seiner Schwärmerei für den Norden, namentlich
für Schweden, auf Wolfram eine besondere Faszination aus. Und so ging er mit seiner
21 Ernst Moritz Arndt, Schriftsteller, Universitätsprofessor und Abgeordneter zur Frankfurter Nationalversamm-
lung. Umfangreiches Werk an Lyrik, politischen, historischen und volkskundlichen Schriften. Zu Leben und
Werk siehe : Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen, hg. v. Dirk Alvermann, Imfried GarBe (Köln
u. a. 2011). Zur politikwissenschaftlichen Einschätzung seiner Theorien siehe Klaus v. Beyme, Geschichte der
politischen Theorien in Deutschland 1300–2000 (Wiesbaden 2009) 256–259.
22 Vgl. Wolfgang SchivelBusch, Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865, Frankreich 1871,
Deutschland 1918 (Berlin 2001). Einen derartigen Zusammenhang der Germanistik und Volkskunde in einer
völkisch gefährdeten Zeit wie der Romantik und der Nachweltkriegszeit sah auch der NS-Ideologe Otto Höfler.
Siehe Bundesarchiv Berlin (BAB), vormals Berlin Document Center, Bestand NS 21 (Ahnenerbe), Bericht
über die Arbeitstagung der Lehr- und Forschungsstätte für germanisch-deutsche Volkskunde in Salzburg vom
25.–27. Februar 1943.
23 Darunter G. Chr. Burchardi, Eine Verteidigungsschrift für E. M. Arndt (Berlin 1918) ; Heinrich Ger-
stenBerg, Ernst Moritz Arndt. Sein Vermächtnis an uns (Hamburg 1925) ; Ernst Müseck, Ernst Moritz
Arndt. Staat und Vaterland. Eine Auswahl aus seinen politischen Schriften (Der deutsche Staatsgedanke. Erste
Reihe : Führer und Denker X, München 1921) ; Hans Kern, Ernst Moritz Arndt. Der ewige Deutsche (Jena
1930) ; H. Josef Kuhn, Arndt und Jahn als völkisch-politische Denker (Pädagogische Untersuchungen, Reihe
3, Probleme der Nationalerziehung 2, Langensalza 1936) ; Paul Knauer, Ernst Moritz Arndt. Der große Er-
zieher der Deutschen (Stuttgart 1935). Daneben erschienen in Deutschland zahlreiche weitere Monografien,
Dissertationen und Aufsätze über Arndt in diesem Zeitraum.
24 Siehe Kurt Lenk, Volk und Staat. Strukturwandel politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert (Stutt-
gart 1971) 85.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625