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488 Alfred Werner Höck
5. hinwendung zur volkskunde
Nach bestandener Promotion erhielt Wolfram 1928 eine Stelle als Lektor für die schwe-
dische Sprache an der Universität Wien und ein Jahr später, zusammen mit der Verlän-
gerung des Lektorates, einen Lehrauftrag für schwedische Sprache im Seminar für deut-
sche Philologie für jeweils 2 Wochenstunden, der während der kommenden Jahre immer
wieder verlängert wurde. Mit diesem Lehrauftrag war allerdings, wie damals üblich, kein
Gehalt verbunden, sodass er auf das sogenannte Kollegiengeld angewiesen war. Unter
dem Einfluss von Gleichgesinnten aus der Much-Schule wandte sich sein Interesse jedoch
immer mehr volkskundlichen Fragen zu. Der entscheidende Anstoß für Wolframs wissen-
schaftliche Hinwendung zur Volkskunde dürfte von Rudolf Much gekommen sein, wie
aus einem Brief an seinen Freund Höfler35 hervorgeht : Habe ich Dir geschrieben, daß Much
mir nahegelegt hat in Weisers36 Fußstapfen zu treten u. Volkskunde zu nehmen ? Ich glaub´
ich tu´s. Dafür habe ich ja auch einige Voraussetzungen37. Nach einigen Zweifeln beschloss
Wolfram Anfang 1930 eine wissenschaftliche Karriere in der Volkskunde einzuschlagen,
wobei ihm laut eigenem Bekunden nicht zuletzt die Vielseitigkeit dieser Disziplin reizte,
denn ob man nun die Musik hernimmt, oder Medizin, Kunstgeschichte oder Architektur,
Sprach- und Religionswissenschaft, alles spielt in die Volkskunde hinein38. Dieser Entschluss
wurde dadurch erleichtert, dass er, trotz seiner unbezahlten Dozentenstelle, durch seine
Nebenbeschäftigungen (vor allem eine rege Vortragstätigkeit, darunter an der „Wiener
Urania“) genug zum Lebensunterhalt verdiente, wozu er noch einen kleinen Rückhalt […]
aus unserem Geschäft (Last)39 hinzubekam. Hinzu kamen Karriereüberlegungen, da er sich
fragte, wie lange Much noch aktiv sein werde. Ob dann die Haberländer nicht verstossen
und man sich als junges Dozenterl nicht genügend zur Wehr setzen kann ? Ich muss noch
ausführlich mit Much reden. […] Wenn ich nur intrigieren könnte !40 Im Lichte von Wolf-
rams früh ausgeprägter Neigung zur Suche nach volkskundlichen „Quellströmen“ war die
Hinwendung zur Volkskunde ein nachvollziehbarer Schritt. Als junge Wissenschaftsdis-
ziplin versprach sie einem ambitionierten Jungakademiker ein weites, bisher kaum von
35 Otto Höfler (1901–1987), Germanist der Much-Schule, 1928–1934 in Uppsala als Dozent wirkend, Lehr-
aufträge nach 1934 in Kiel und München. Professur für germanische Altertumskunde und Philologie. Seine
Arbeiten basieren auf der Annahme der „germanischen Kontinuität“ und der „germanischen Männerbünde“.
Mitarbeit im „Ahnenerbe“. 1957 Lehrstuhl an der Universität Wien. Es verband ihn eine lebenslange Freund-
schaft mit Richard Wolfram, der in vielen Arbeiten auf Höfler Bezug nahm. Näheres sieheAbschnitt 7 (S.#).
36 Gemeint ist Lily Weiser, wie Wolfram eine Vertreterin der „Wiener Much-Schule“. SieheAbschnitt 7 (S.#).
37 SLIVK, NRW, Briefe 21677-N : Wolfram an Höfler, datiert 22.11.1928.
38 Ebd. Briefe 21675-N : Wolfram an Höfler, datiert 19.01.1929.
39 Ebd.
40 Ebd.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625