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Richard Wolfram (1901–1995) 517
14. wolframs volkstanzBuch 1951
Während seine Habilitationsschrift der wissenschaftlichen Öffentlichkeit nie in vollständi-
ger gedruckter Form zur Kenntnis gelangte, nimmt ein anderes, nach dem Krieg verfasstes
Werk über den Volkstanz, bis heute eine zentrale Rolle in volkstanzinteressierten Kreisen
ein : das 1951 publizierte Buch „Die Volkstänze in Österreich und verwandte Tänze in
Europa“163. Es galt lange Zeit als wichtige und umfassende kulturgeschichtliche Betrach-
tung der österreichischen Volkstanzkultur164. In diesem populär gehaltenen Werk offen-
barte Wolfram auch seine ideologischen motivierten Sichtweisen auf den Volkstanz, die sich
nicht von jenen der Jahre vor 1945 unterschieden. Er verwendete dabei eine Motivsprache,
die auf gesamtgesellschaftliche Phänomene abzielt165. Als Angriffsfläche diente ihm der mo-
derne Gesellschaftstanz, den er mit dem Jazz gleichsetzte166, als Synonym für einen von ihm
konstatierten „Kulturverfall“, dem er den traditionellen Volkstanz als „urgegebenes“ Ge-
meinschaftserlebnis gegenüberstellte. Er wurde zum Symbol eines Kulturkampfes stilisiert,
in dem Wolfram die Begriffspaare Tradition-Moderne, Gruppe-Individuum antagonistisch
gegenüberstellte. So postulierte Wolfram unter Bezugnahme auf Georg Götsch167 die Idee
des „Tanzes als Bindung“ und kontrastierte sie mit der seiner Meinung nach ordnungs-
losen und chaotischen Form des zeitgenössischen Tanzes. Form und Ästhetik wurden zu
Wertungsmaßstäben, die über den bloßen Tanz weit hinauswiesen : „Chaotisches Gewoge,
nirgends eine Spur übergreifender Ordnung, nicht einmal Gleichzeitigkeit derselben Be-
wegung, die an den Melodieablauf gebunden ist. Alles nur zu zweien. Und wollen wir uns
unterfangen, von Geist oder Seele zu reden, wenn wir sehen, wie die Menschlein am Faden
eines aufpeitschenden Rhythmus zappeln, auf dessen Untergrund einförmig und unbarm-
herzig ein dumpfer Viererschlag pocht ; seelenlos wie das Stampfen einer Maschine“168. In
Wolframs Augen wurde „Lebendiges, gleichsam Atmendes, durch ein unterschiedsloses,
mechanisches Stampfen ersetzt […]. Maschine statt Leben“169.
163 Richard Wolfram, Die Volkstänze in Österreich und verwandte Tänze in Europa (Salzburg 1951).
164 Inzwischen liegt mit dem Band : Volkstanz zwischen den Zeiten. Zur Kulturgeschichte des Volkstanzes in
Österreich und Südtirol, hg. v. Waltraud Froihofer (Weitra 2012) ein modernes wissenschaftliches Kom-
pendium zu diesem Thema vor.
165 Zu einer ausführlichen Kritik von Wolframs Volkstanzbuch siehe den Beitrag von Alfred W. Höck, Der
Volkskundler Richard Wolfram und der lange Schatten der deutsch-völkischen Mythenwelt, in : Volkstanz
zwischen den Zeiten (wie Anm. 164), Langfassung auf beiliegender DVD, 593–628.
166 In seinem schriftlichen Nachlass und seiner erhaltenen Arbeits-Bibliothek im SLIVK finden sich keine An-
haltspunkte für eine Beschäftigung Wolframs mit dem Jazz.
167 Georg Götsch, Musikpädagoge. Götsch zählte zu den wichtigen Persönlichkeiten der deutschen Jugend- und
Jugendmusikbewegung.
168 Wolfram, Volkstänze in Österreich (wie Anm. 163) 11.
169 Ebd. 13.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625