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518 Alfred Werner Höck
Von dieser Maschinenhaftigkeit führte angeblich ein direkter Weg zu den „Zerset-
zungserscheinungen“, die im Tonfall nationalsozialistischer Ideologie schließlich mit ei-
nem „Kulturverfall der weißen Menschheit“ gleichgesetzt wurden : „Man muß das zer-
gliedern und zeigen können, daß es wirklich eine Auflösung ist, Zerfall und Zersetzung
dessen, was die europäischen Völker in Jahrhunderten aus ihrem Empfinden heraus zur
Hochblüte ihrer Kultur und Musik entwickelten“170. Wie schon vor 1945 erschien ihm
Vereinzelung als die größte Gefahr für die von ihm idealisierte Heilswelt der (Volks-)Ge-
meinschaft. Der „Zerfall“ des Ordnungssystems Tanz wurde ihm zum Synonym für eine
Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes schlechthin : „Im modernen Tanz gibt
es kein Zusammenwirken mehrerer zu einer größeren Einheit. Jedes Paar tanzt für sich
allein, macht die Schritte, die ihm belieben, kennt auch keinen feststehenden Handlungs-
ablauf. Darin liegt ein Reiz, aber auch eine Gefahr. Herrscht es allein, ist es das Zeichen
einer völlig aufgelösten Gesellschaft, schrankenloser Vereinzelung“171. Es ist nicht zuletzt
diese kulturpessimistische Sicht auf bestimmte moderne Entwicklungen, die Wolfram
von Beginn an zur Grundlage seiner Arbeiten gemacht hat. Die Ablehnung der von ihm
als westlich und fremdartig empfundenen Prinzipien von Aufklärung und Liberalismus,
die Suche nach autoritären und hierarchischen Ordnungsmodellen – am besten in Form
elitärer Männergemeinschaften – das Heilsmodell der autoritären Gemeinschaft, getragen
durch eine mythische, auf vormodernen Traditionen beruhende Sinnstiftung, das waren
Modelle, die Wolfram vor 1945 offen zur Sprache brachte und propagierte und die ihm
nach 1945 als Substrat seiner Idee einer (Volks)Kultur dienten.
15. die rückkehr des „südtiroler propheten“. politische
südtirol-arBeiten 1958–1962
Für die Wiedererlangung seiner Professur an der Wiener Universität nahm Wolfram zahl-
reiche Um- und Seitenwege, die ihn schließlich auch wieder nach Südtirol führten. Im
Zuge der gestiegenen Spannungen um Südtirol erschien er Ende der 1950er Jahre wieder
als „Südtirol-Experte“ und bot politisch nutzbare Erkenntnisse an. Der Zeitpunkt dafür
war gut gewählt. Nachdem die „Option“ im Zuge der vollkommenen Niederlage der Ach-
senmächte gescheitert war und es auf Grundlage des „Pariser Vertrages“172 von 1946 in den
170 Ebd. 15.
171 Ebd. 23.
172 Auch „Gruber-De-Gaspari-Abkommen“ genannt, vom 05.09.1946, das vom österreichischen Außenminister
Karl Gruber und dem italienischen Ministerpräsidenten, Alcide De Gaspari, unterzeichnet wurde. Darin
wurde, in nicht bindender Form – neben einem Autonomieanspruch für die Region Trentino-Südtirol – auch
die Revision der Staatsbürgerschaftsoptionen die sich aus dem „Hitler-Mussolini-Abkommen“ ergaben, ver-
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625