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Richard Wolfram (1901–1995) 519
1940er und 1950er Jahren zu einer teilweisen Rücksiedlung der „Optanten“ nach Südtirol
gekommen war, kam das Problem „Südtirol“ seit Mitte der 1950er Jahre jedoch wieder
verstärkt auf die politische Tagesordnung beiderseits des Brenners173. Wolfram, inzwischen
wieder als Dozent an der Universität Wien rehabilitiert, erkannte darin die Chance, seine
Südtirol-Aufzeichnungen für politische Auftragsarbeiten zu verwerten. Zur Anbahnung
des Kontaktes mit der politischen Ebene bediente sich Wolfram dabei des Historikers und
Volkskundlers Adolf Helbok174. Die Verbindung zu Helbok war nicht zufällig. Bereits im
Herbst 1944 hatten die beiden erste Forschungsabsichten in Richtung Südtirol skizziert, als
Helbok als Direktor des Instituts für Volkskunde der Deutschen Alpenuniversität in Inns-
bruck und Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft für Landes- und Volksforschung Gruppe
II Volkskunde agierte175. Über Helbok konnte Wolfram im Sommer 1958 Kontakt mit
dem für Südtirolfragen zuständigen Staatssekretär Franz Gschnitzer aufnehmen176. Der
Zeitpunkt für die Kontaktaufnahme war günstig gewählt, da sich die Konfliktparteien da-
rum bemühten, ihre jeweiligen Positionen mit sprachethnologischen und volkskundlichen
Beweisführungen zu untermauern. Erneut erschien auch Höfler als Miteingeweihter. Wie
aus Wolframs Schilderung hervorgeht, vermischten sich dabei die politischen Interessen
mit Wolframs Bestrebungen um Wiedererlangung der Professur : Kurz vor der Zeit, da ich
zu Prof. Gschnitzer kommen sollte, rief das Bundeskanzleramt an und verschob die Besprechung
auf den gestrigen Donnerstag [26. Juni 1958, AWH], wo sie auch stattfand. Ich hatte näch-
telang Karten gezeichnet und kam mit wirklich eindrucksvollen Material. 2 Tage vorher hatte
Höfler eine Zusammenkunft mit dem ehemaligen Vizekanzler [Vinzenz] Schumy177 arran-
giert, der ja in den Kärntner Abwehrkämpfen eine wichtige Rolle gespielt hatte und für solche
Fragen Verständnis hatte, wie Südtirol. Schumy war auch sehr angetan und schrieb Gschnitzer
sogleich über mich. […] Die Unterredung mit Gschnitzer verlief äußerst positiv. Gschnitzer sah
einbart. Siehe hierzu Rolf Steininger, Autonomie oder Selbstbestimmung ? Die Südtirolfrage 1956/46 und
das Gruber-De Gasperi-Abkommen (Innsbruck/Bozen 2006).
173 Zu den Hintergründen für das Wiederaufflammen des Südtirol-Konfliktes siehe Michael Gehler : Tirol im
20. Jahrhundert vom Kronland zur Europaregion (Innsbruck/Wien/Bozen 2008) insbes. 282–319 und Rolf
Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969 1 : 1947–1959 (Veröffentlichungen des
Südtiroler Landesarchivs/Pubblicazioni dell´Archivio della Provincia die Bolzano 6, Bozen 1999).
174 Zu Helbok siehe den Beitrag von Martina Pesditschek in diesem Band.
175 Siehe SLIVK, NRW, Briefe 24848-N : Helbok an Wolfram, Wien, datiert : 07.09.1944.
176 Ebd. Briefe 21510-N : Wolfram an Helbok, datiert 17.06.1958 ; Franz Gschnitzer, Rechtswissenschaftler und
Politiker (ÖVP), Dekan und Rektor der Universität Innsbruck. Seine Bestellung 1956 zum Staatssekretär im
Außenamt war ein bewusstes Signal für eine aktivere Südtirol-Politik der österreichischen Bundesregierung.
177 Vinzenz Schumy, 1923–1927 Kärntner Landeshauptmann, 1919 Mitglied der österreichischen Delegation in
St. Germain, 1924–1927 Bundesobmann des Landbundes, 1929 Vizekanzler, 1929–1930 und 1933 Innen-
minister. 1945–1949 Nationalrat der ÖVP. Vizepräsident des Österreichischen Bauernbundes und General-
anwalt des Raiffeisenverbandes.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625