Page - 526 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
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526 Alfred Werner Höck
umfasst gleichsam zwei Karrieren – Ulrike Kammerhofer-Aggermann spricht im Hin-
blick auf Wolframs Rolle in der Brauchtumsbewegung sogar von drei –, welche die Vor-
und die Nachkriegszeit überbrücken. Seine Überzeugung, dass seine (ideologiegeprägten)
Wissenschaftsauffassungen aus der Zwischen- und Kriegszeit die einzig gültige und rich-
tige Interpretation darstellen, hat Wolfram nie abgelegt. Das führte dazu, dass er nach
1945 „abweichende Meinungen, neuere Forschungsergebnisse sowie Ansätze zeitgemäßer
Brauchforschung entweder bekämpft oder gar nicht zur Kenntnis genommen“199 hat.
Diese Kontinuität der „völkischen“ Prämissen zeigen auch seine bis in die 1980er-Jahre
verfassten Beiträge für die „Eckartschriften“200.
Wissenschaftshistorisch muss bedenklich stimmen, dass Wolframs Sichtweisen bis weit
in die Zweite Republik sowohl in Kreisen der Brauchtums- und Volkskultur als auch
von Teilen der Wissenschaft unreflektiert übernommen und weitergeführt wurden. Sein
konstruiertes Bild einer Volkskunde, die auf einer längst vergangenen Agrargesellschaft als
(idealisiertem) Leitmotiv beruht, zeigt daher auch die lange anhaltende Definitionsmacht
dieser Generation von Kulturwissenschaftlern, und – bei scheinbarer Ausblendung der
politischen und ideologischen Elemente nach 1945 – das lange Fortleben „völkischer“
Prägungen ebenso wie das systemübergreifende Bedürfnis nach stabilisierenden Ge-
schichts- und Gesellschaftsmythen. Auch hierin mag auch ein Grund liegen für die späte
kritische Auseinandersetzung mit der Person Wolframs und seinem wissenschaftlichen
Wirken. Wolfram symbolisiert daher mehr als nur die Frage nach der Wirkungsdauer
einzelner Forschungsmeinungen, an ihm zeigt sich das Beharrungsvermögen des „völki-
schen“ Denkens, die Bedeutung von sozialer, politischer und wissenschaftlicher Vernet-
zung und die konsequente Verdrängung der NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit.
Sein wissenschaftlicher Nachlass stellt somit heute vor allem ein Stück Zeitgeschichte der
österreichischen Geisteswissenschaften dar und ist ebenso ein Teil der Wissenschaftsge-
schichte der Volkskunde und ihrer Instrumentalisierungen.
199 Bockhorn, „Brauchtumsaufnahme“ (wie Anm. 198).
200 Unter den nachgelassenen Druckwerken Wolframs im SLIVK befinden sich auch einige Jahrgänge der „Eck-
artschriften“. Aus diesen lassen sich zumindest 16 Beiträge Wolframs in den Jahren zwischen 1979–1986
nachweisen.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625