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540 Jiří Němec
zeigte er sich kulturpessimistisch-kritisch und ließ eine deutliche Nähe zum Kunstver-
ständnis völkischer Kreise erkennen, wenn er schrieb : „Die Generation von heute kann
diese feingewürzte Kost nicht mehr mit dem Appetit genießen, den sie dem früheren Ge-
schlecht erregte. Sie wünscht sich einfachere, derbere und wohl auch gesündere Kost.“55
Er selbst organisierte die Deutschen Ferien-Hochschulkurse für In- und Ausländer als
deutsche Kulturpropaganda von Österreich mit56. Zu seinen Kollegen gehörten u. a. Josef
Nadler, Otto Brunner, Hans Sedlmayr, Anton Böhm, und er widmete seine dortigen Vor-
träge Themen aus der österreichischen Staats- und Kulturgeschichte57. Seine geschichtli-
chen Überlegungen unterbreitete er auch während kirchlicher Festveranstaltungen, wie es
etwa bei der Übernahme der griechisch-katholischen Barbarakirche durch die Erzdiözese
Wien am 5. April 1936 der Fall war58.
Mitte der 1930er-Jahre stand Borodajkewycz regelmäßig vor den Mikrofonen der ös-
terreichischen Rundfunkgesellschaft Radio Verkehrs AG (RAVAG). In seinen Sendungen
stellte er neue Ergebnisse der Geschichtswissenschaft anlässlich von historischen Gedenk-
tagen vor oder besprach Neuerscheinungen des historischen und philosophischen Bü-
chermarkts. In der offiziellen RAVAG-Zeitschrift „Radio“ wurde er 1936 in einem Wer-
betext als „Geschichtsphilosoph“, der „zu den aktivistischen jungen Katholiken“ gehört,
tum, Reich und Heimat“ und sollte gemäß der Einladung katholische Jugendliche zum „österreichischen
Selbstbewußtsein“ zurückführen, weil „der Zusammenbruch des alten Donaureiches und der Zwang, in einem
Kleinstaat zu leben, der für die eigenständige Begabung des Österreichers zu eng ist und sie verkümmern läßt,
[…] ihm seinen Stolz und sein Selbstbewußtsein in der Tat schwer beeinträchtigt [hatte]“. Bei der staatlichen
und geistigen Erneuerung Österreichs sollte die Jugend die Pflicht haben, „sich und der Zukunft ein neues
Österreich zu erobern, das Vaterland wieder zu einer Macht in der Geschichte zu machen“. Quelle und Kraft
für eine österreichische Erneuerung waren Geschichte (gründliche Kenntnis der Leistungen Österreichs in
der Geschichte, das Verständnis des eigenen Wesens, seine Vorzüge und Gefahren) und die Erkenntnis der
„österreichischen Sendung, ihrer geschichtlichen Größe und ungebrochenen Gültigkeit“. Nur so konnte man
ein „großes, klares, zur Tat aufrufendes Zielbild Österreichs“ schaffen. ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/209,
maschinenschriftliche Einladung.
55 Zitiert nach Hanisch, Der lange Schatten (wie Anm. 1) 324.
56 So drückte sich Borodajkewycz Srbik gegenüber aus, Schreiben vom 12.09.1934. Vgl. ÖStA KA, NL TB, Sig.
B1251/27.
57 Borodajkewycz trug 1934 in Millstatt zum Thema „Zur Soziologie des deutschen Staatsgedankens“, 1935 in
Gmunden im Schloss Traunsee über „Salzburgs Geschichte im Wandel des deutschen Schicksals“ und in Wien
über „Geistige Struktur Wiens im 19. Jahrhunderts“ vor. Vgl. ÖStA KA, NL TB, Sig. 1251/58, Mitteilungs-
blatt des Österreichisch-Ausländischen Studentenklubs Wien 2 (1934) Folge 5/6 (Oktober), und Flugblatt mit
Programm der Kurse für den Sommer 1935.
58 Nach dem Artikel „Wien und die Kirche des Ostens“ in : Reichspost Nr. 96 Ausgabe 06.04.1936, hielt Boro-
dajkewycz eine Festrede auf einer Festakademie im Wiener Militärkasino in Anwesenheit verschiedener Fest-
gäste, darunter auch Kardinal Innitzer und der zweite Wiener Vizebürgermeister Josef Kresse. Die Festakade-
mie fand abends nach dem Akt der feierlichen Einverleibung der Pfarre statt.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625