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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 541
tituliert59. Wie seine private Korrespondenz zeigt, musste Borodajkewycz sich in seinen
Sendungen einer Selbstdisziplinierung unterziehen. Ab und zu gelang es ihm trotzdem,
die Zensur zu umgehen und Propaganda für die gesamtdeutsche Geschichtsauffassung
Srbiks zu machen60. Ich verfolge […] auch das Ziel, unsere österreichische Öffentlichkeit mit
dem geistigen Leben des Reiches stärker in Fühlung zu bringen, schrieb er 1937 in einem
Brief an den Propyläen-Verlag und verwies namentlich auf einige besprochene Bücher
seiner letzten Sendungen (Srbik : Deutsche Einheit, E. Marcks : Der Aufstieg des Reiches,
O. Gmelin : Der Ruf zum Reich, W. Schäfer : Auf Spuren alter Reichsherrlichkeit, Fr.
Schnabel : Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert)61.
Erneut war es Srbik, der seinem Schüler beistand und auf dessen schnelle Habilita-
tion an der Wiener Universität drängte62. Seit dem Beginn des Jahres 1934 bekam Bo-
rodajkewycz monatlich 300 Schilling von der Berliner Notgemeinschaft der deutschen
Wissenschaft, um sich auf die Habilitation vorzubereiten. Die politischen Spannungen
zwischen Österreich und Hitler-Deutschland nach dem gescheiterten nationalsozialis-
tischen Putschversuch vom Juli 1934 vereitelten die Auszahlung des Stipendiums und
Borodajkewycz hing plötzlich wieder völlig in der Luft63. Srbik versuchte im Herbst 1934
59 Vortragende, die Sie kennen, in : Radio Wien 12 (1936) Heft 26 2.
60 Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit bescheiden erwähnen, dass ich mir neuerlich die Freiheit nahm, auf ihr
Wirken, hochverehrter Herr Minister, und auf Ihr neues grosses Werk als „einer eminent patriotischen Tat“ hinzu-
weisen. Ich wurde nämlich plötzlich vom Wiener Rundfunk, nachdem ich am 20. August einen Vortrag zum 80.
Todestag Schellings gehalten hatte, aufgefordert, über „Österreichs Stellung im geistigen Leben Europas“ zu sprechen,
und habe die Gelegenheit benützt, um besonders deutlich auf die Arbeit unserer österr. Historiker und vor allem auf
Ihr Schaffen, Hochverehrter Herr Minister, aufmerksam zu machen. Da ich den Vortrag von Dienstag auf Don-
nerstag übernehmen musste, war die Zeit leider zu kurz, um bei Ihnen noch um die Erlaubnis anfragen zu können.
Doch habe ich die Sache mit Herrn Min. Rat Bittner besprochen, der meine Absicht sehr begrüsste. Seltsamer Weise
wurde von mir gar kein Manuskript abverlangt, ich konnte daher völlig frei und ohne Zensur reden und ist bis jetzt
jedenfalls noch keine Beschwerde eingetroffen. ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/27, Schreiben Borodajkewycz’ an
Srbik vom 12.09.1934 (Durchschlag).
61 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/190, Konzept des Schreibens Borodajkewycz’ an Propyläen-Verlag G.m.b.H.
vom 18.04.1937.
62 So Borodajkewycz’ an Virgil Redlich : Vorgestern hatte ich mit Herrn Prof. v. Srbik eine längere Unterredung, in
deren Verlauf er mir mitteilte, es sei sein und des Herrn Staatssekretärs Pernter Wunsch, dass ich sobald als möglich
zur Habilitation antrete. Ich erzählte Herrn Prof. Srbik von Ihrem Vorschlage über den Briefwechsel der Brüder Pez,
den er sehr begrüsste ; nur riet er mir, zum unmittelbaren Zweck der Habilitation nicht wieder eine geistesgeschicht-
liche Arbeit zu machen, sondern ein Thema aus der politischen Geschichte des 17. oder 18. Jahrhunderts zu nehmen,
damit mir für die Venia legendi keine Schwierigkeiten gemacht werden könnten, wenn ich nur geistesgeschichtliche
Arbeiten hätte. Srbik meinte weiter, er schätze meine bisherigen Arbeiten so sehr, dass er sich mit einem Aufsatze im
Umfange eines Bogens für die politischen Geschichte begnüge. Ich war auf das höchste überrascht über diese Mittei-
lung, da ich ja dadurch die Möglichkeit habe, bereits in einem Jahre die Dozentur unter Dach und Fach zu bringen.
ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/28, Schreiben vom 26.10.1935.
63 Ebd.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625