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542 Jiří Němec
nochmals, mit einem außerordentlich positiven Gutachten die Situation seines Schülers
zu verbessern und rühmte ganz hervorragende Fähigkeiten Borodajkewycz’. Das Gutach-
ten, dem sich Oswald Redlich mit einem lobenden Satz anschloss, blieb allerdings ohne
Erfolg64.
Damit verdunkelten sich Borodajkewycz’ Aussichten auf eine schnelle universitäre Kar-
riere. Eine Alternative bot der Archivdienst. Seit dem 28. März 1934 war er Aspirant für
den Archivdienst im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv und seit August desselben Jah-
res wurde er dort als Adjunkt bescheiden entlohnt. Was vielleicht nur als eine Nebenbe-
schäftigung gedacht war, gewann im Herbst 1934 plötzlich eine existenzielle Bedeutung.
Leider ist ihm, schrieb Borodajkewycz (er spricht von sich als von einem Unterfertigten)
im Oktober 1934 in einem Antrag an das Präsidium des Bundeskanzleramtes, in den letz-
ten Tagen die bisherige Grundlage seiner Existenz plötzlich entzogen worden, sodass er ganz
auf die S. 50,- des Archivdienstes angewiesen ist, mit welchen er aber weder allein, geschweige
mit seiner Frau leben kann. Nur diese Katastrophe, der sich der Unterfertigte plötzlich gegen-
übersieht, gibt ihm den Mut, das vorliegende dringende Ansuchen einzureichen65. Der Antrag
wurde im Frühjahr 1935 positiv entschieden und so wurde Borodajkewycz am 1. April in
den Vorbereitungsdienst für den Archivdienst als provisorischer Staatsarchivar 2. Klasse
mit einem Jahresgehalt in der Höhe 2.460,- Schilling eingestellt. Bis zur nationalsozialis-
tischen Annexion Österreichs blieb seine provisorische Einstellung bestehen, obwohl ihm
die Beseitigung dieses Provisoriums mindestens einmal versprochen worden war66.
Im Jahr 1942 erklärte Borodajkewycz den Umstand, dass er nicht in ein definitives
Dienstverhältnis übernommen worden war, dergestalt, dass es in der Systemzeit aus po-
litischen Gründen nicht möglich gewesen sei67. Die Quellen belegen diese Aussage nicht
64 ÖStA KA, NL TB, Sig. B1251/125, Abschrift eines Gutachtens Srbiks für die Notgemeinschaft der Deut-
schen Wissenschaft vom 29.10.1934. Ebd. siehe auch ein Gutachten Oswald Redlich vom 03.11.1934. Auch
wenn der Zweck des Gutachtens miteinbezogen werden muss, belegt das Gutachten Srbiks eine eindeutige
Vorstellung über die erfolgreiche wissenschaftliche Zukunft seines Schülers : Neuerdings versichere ich, dass Dr.
Borodajkewycz ein junger Gelehrter von ganz hervorragenden Fähigkeiten ist, dass seine feste nationale Gesinnung
über jedem Zweifel steht und dass seine Förderung im eminenten Interesse der deutschen Geschichtswissenschaft in
Österreich liegt. Der Genannte gehört zu jenen Wenigen, auf denen unsere sichere Hoffnung, einstmals unsere Wis-
senschaft ausgezeichneten Händen zu überlassen, beruht. Seine Arbeiten zur Geschichte des deutschen katholischen
Geisteslebens im neunzehnten Jahrhundert sich ungemein wertvoll. Ein Mann mit seinem weiten Gesichtskreis und
seiner starken geistigen Kraft sollte nicht im Stiche gelassen werden.
65 ÖStA/HHStA, SB KA HHStA, SR Personalien 2-1-7, Taras Borodajkewycz, Schreiben Borodajkewycz’ an das
Präsidium des Bundeskanzleramtes vom 28.10.1934.
66 UAW, Philosophische Fakultät – PA TB, Lebenslauf, beigelegt zum Antrag um Erteilung der Venia legendi
vom 03.03.1937 : […] welches Dienstverhältnis [prov. Staatsarchivar 2. Klasse] noch im April d. J. in ein defini-
tives übergehen wird.
67 UAP, Philosophische Fakultät, PA TB, Lebenslauf vom 11.06.1942.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625