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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 547
stattfanden, ist wegen Borodajkewycz’ Berufung nach Prag, einem Disziplinarverfahren der
NSDAP gegen ihn und seinem überraschenden kurzen Kriegseinsatz zu bezweifeln.
Kein Zweifel dürfte dagegen am Inhalt von Borodajkewycz’ Vorlesungen bestehen,
denn mit ihnen wollte er zur Ausbildung eines neuen, nationalsozialistischen Menschen
beitragen. Zur ungefähr gleichen Zeit, als er mit diesen Vorlesungen beauftragt wurde,
publizierte er eine kurze Abhandlung in dem Buch „Europa – Kontinent der Jugend“, die
im Auftrag des Reichsleiters Baldur von Schirach entstanden war93. Borodajkewycz stellte
die politischen Ereignisse in Deutschland seit 1933 im nationalsozialistischen Topos einer
„deutschen Revolution“ dar, die „nicht nur ein neues [politisches] Programm bedeutet[e],
sondern auch ein neues Menschentum heraufführte“. Mit dieser „Revolution“ sollte die
demokratische Welt des angelsächsischen Liberalismus, der französischen Ideen von 1789
und des „atlantischen Imperialismus – eine Welt von gestern“, abgeschafft werden. In
dieser angeblich vergangenen Welt war das Reich in der Mitte Europas auf internationaler
Ebene gedemütig worden. Zugleich wurde das menschliche Leben auf gesellschaftlicher
Ebene von allen guten „organischen Bindungen, von Familie, Volk und Staat“ entbunden,
so dass eine Verabsolutierung des einzelnen Menschen erreicht wurde. Mit Hitler und
dem Nationalsozialismus kam es zu einer Welterneuerung, einer neuen Epoche der Welt-
geschichte, in der das Reich wieder seine weltgeschichtliche Bedeutung erlangen sollte.
Nach dem Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland sollten auch die anderen Staaten
Europas – ähnlich den anderen Revolutionskriegen in der Geschichte – erobert und er-
neuert werden. Um Neues in der Geschichte zu erreichen, musste auch Gewalt angewen-
det werden. Borodajkewycz scheute sich in seiner Darstellung also nicht, den NS-Terror
und Hitlers Krieg zu legitimieren94. Im Gleichklang mit nationalsozialistischer Kriegspro-
93 Taras von Borodajkewycz, Neue Welt Europa : Die Revolutionen, in : Europa. Kontinent der Jugend, hg. v.
Günter Kaufmann (Leipzig 1942) 53–54. Vgl. auch seinen Vortrag: Das Reich als europäischer Ordnungs-
faktor in Geschichte und Gegenwart, der die Vorträge der NS-Sommerhochschule Semmering mit den Thema
„Europa, das Reich und der Südosten“ einleitete, siehe Die erste Woche der Sommerhoschule, in: Völkischer
Beobachter 54 (1941), Nr. 210, 29.07.1941, 5.
94 Ebd.: „Es [das deutsche Volk] erkannte, daß die demokratische Maske, die ihm angelegt worden war, seinem
Wesen nicht entsprach, es wurde sich klar, daß diese Maske die Züge des feindlichen Siegers trug. Es erstand
ihm der Mann, der es mit der Überzeugung erfüllte, daß Deutschland nicht das ist, was es ist, sondern das, was
es sein soll. Seine Persönlichkeit und sein Programm wurden der sichtbare Ausdruck der deutschen Reaktion
gegen eine Art zu leben, zu fühlen und zu denken, die nicht mehr in die neue Zeit hineinpaßte. Er schweißte
alle Elemente dieser Reaktion zusammen und formte sie zum Nationalsozialismus. Dieser Sozialismus hebt
den Klassenkampf im Innern der Nation auf, ist sich aber bewußt, daß Politik der demokratischen Besitzerlän-
der die Welt in eine Arena des Klassenkampfes verwandelt hat. Und er erzieht Deutschland für diesen Kampf.
Der Reichtum mag es den Demokratien erlauben, liberal zu sein, die Not der deutschen Gegenwart verlangte
vom Nationalsozialismus eine totale Zusammenfassung und autoritäre Führung der Nation, sie verlangt Into-
leranz gegen alle Kräfte, die sich diesem Prozeß hindernd in den Weg stellen. Ging die liberal-demokratische
Welt vom Individuum zum Staat, so waren für die deutsche Revolution Volk und Staat die Angelpunkte ihres
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625