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548 Jiří Němec
paganda war ihm dieser Krieg gegen „den Bankrott der liberalen Demokratie“ zugleich
ein „Kreuzzug“ und Abwehrkrieg gegen „die drohende Anarchie des Bolschewismus“95.
Gemessen an dieser Darlegung, dürften seine Vorlesungen vom Glauben an eine bes-
sere nationalsozialistische Zukunft durchdrungen gewesen sein, weil – wie seine Sätze am
Schluss seines Aufsatzes zu verstehen geben – in den Reihen des deutschen Heeres und
seiner Verbündeten bereits das neue Europa „steht, das jung und neu fühlt und weiß,
daß der nationale Sozialismus das Gesicht des Erdteiles bestimmen wird, [und weil] mit
ihnen streiten, wie einst die Walküren, alle guten Geister der großen abendländischen
Vergangenheit für eine Zukunft, die nicht nur ein Europa der Macht bringt, sondern auch
ein neues Europa des Geistes, das sich der großen Tradition dieses Erdteiles, die ihm die
Führung der Welt gab, würdig erweist“96.
4. soziale netzwerke und nationalsozialismus
Edmund Glaise-Horstenau, ehemaliger k. u. k. Generalstaboffizier, Militärhistoriker und
Direktor des Wiener Kriegsarchivs, Minister im österreichischen Ständestaat und eine der
führenden Persönlichkeiten der „Katholisch-Nationalen“ in Österreich, erinnerte sich in
seinen Memoiren mit Bezug auf den Kriegsausbruch 1939 an eine Begegnung mit dem
Ehepaar Borodajkewycz97 : In der Salzburger Residenz […] traf ich das Ehepaar Boroda-
jkewicz [sic], zwei trotz ihrer katholischen Vergangenheit 100%ige Nazis. Ich sagte zu ihm :
„Herr Doktor, merken Sie sich – dieser Krieg ist das größte Verbrechen an der Menschheit.98“
Wir wissen nicht, wie Borodajkewycz auf diese möglichen Worte des alten und verehr-
ten Soldaten und Freundes reagiert hat. Es ist festzuhalten, dass das Ehepaar Boroda-
jkewycz von Glaise-Horstenau im Jahr 1943, als er die Memoiren verfasste, mit Worten
Denkens und Wollens. Volk und Staat, das heißt aber im deutschen Schicksal : das Reich. Indem die national-
sozialistische Revolution diesen Auftrag der Vorsehung an das deutsche Volk auf ihre Fahne schreibt, eröffnet
sie sich nicht nur den Zugang in das tiefste Innere des deutschen Menschen, zumal der deutschen Jugend,
sondern erhebt sich auch von einem innerdeutschen Geschehen zu einem europäischen Aufbruch. Damit wird
die Auseinandersetzung mit einem Europa unvermeidlich, das jahrhundertelang aus dem Verfall des Reiches
die Säfte zu seinem eigenen Vorteil gesogen hatte.“
95 Ebd.: „Neues Europa ist gleichbedeutend geworden mit dem Kreuzzug gegen die größte Barbarei, die Europa
jemals bedrohte, der Kampf um das Reich, das sich als eine Wiederaufnahme der alten Aufgabe des Schutzes
und der Ordnung erwies, erhielt damit einen geschichtsmetaphysischen Sinn.“
96 Ebd.
97 Peter Broucek, Katholisch-Nationale Persönlichkeiten (Wien 1979) ; Erika Weinzierl, Prüfstand. Öster-
reichs Katholiken un der Nationalsozialismus (Mödling 1988) 63–74.
98 Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau 2. Minister im Ständestaat und
General im OKW, hg. v. Peter Broucek (Wien/Köln/Graz 1983) 421.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625