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554 Jiří Němec
wurden intensiviert. Auch Borodajkewycz wurde vom deutschen Gesandten persönlich zu
einem Empfang eingeladen, obwohl solche Besuche von Parteimitgliedern gemäß Wei-
sung der österreichischen NSDAP-Leitung boykottiert werden sollten118. Borodajkewycz
freundete sich besonders mit dem deutschen Diplomaten, Kulturattaché und späteren
Widerstandskämpfer Hans Bernd von Haeften an, der, wie sein jüngerer Bruder Wer-
ner, Adjutant Stauffenbergs, nach dem gescheitertem Attentat auf Hitler 1944 zum Tode
verurteilt wurde119. Bei Haeften kamen Leute zusammen, die auch keine unmittelbaren
Parteiangehörigen waren, sondern Menschen, erinnerte sich Borodajkewycz vierzig Jahre da-
nach, die an einer vernünftigen Lösung der österreichischen Frage interessiert gewesen sind120.
Unter diesen „Anschluss“-Intellektuellen der Katholisch-Nationalen befand sich auch der
Rechtsanwalt Arthur Seyss-Inquart, der bald zur treibenden Kraft der österreichischen
Anschlussbewegung wurde und schließlich als Bundeskanzler und Reichstatthalter amtie-
ren sollte121. Auch mit ihm trat Borodajkewycz damals öfters in Kontakt und es scheint,
dass er auch im weiteren Kreis von dessen Mitarbeitern aktiv tätig war, obwohl er keine
nennenswerte Rolle in der kurzen Regierungsepisode von Seyss-Inquart im März 1938
spielte.
Dieses, gemäß Äußerungen aus der Nachkriegszeit skizzierte Bild von Borodajkewycz’
Tätigkeit in den 1930er-Jahren wird von Quellen der NSDAP aus den Jahren 1938–1942
ergänzt. Natürlich dienten die dort enthaltenen Angaben vor allem zur Erlangung des
Status eines alten Kämpfers, eines illegalen – und darum nicht opportunistischen – Natio-
nalsozialisten : Borodajkewycz wurde am 1. Mai 1938 in die NSDAP mit einer Nummer
für Illegale (Nr. 6124741) aufgenommen. Auch wenn die Angaben also übertrieben sein
konnten, verlieren sie nicht ihre Aussagekraft, die auch die Erinnerungen des Gene-
rals Glaise-Horstenau bestätigen. Es ergibt sich das Bild eines pflichtbewussten, treuen,
opferbereiten, charakterlich einwandfreien Nazi-Charakters, der für seine Überzeugung
verfolgt122 und in seiner wissenschaftlichen Karriere gebremst wurde, der ein bewährter
Mitkämpfer war und pünktlich seine Beiträge bezahlte, der andere Mitglieder warb und sich
in selbstloser Weise in den Kampf unserer Bewegung stellte123. So jedenfalls lautete die Beur-
118 Interview Ackerl (wie Anm. 27) 29.
119 Zu ihrer freundschaftlichen Beziehung siehe den Briefwechsel zwischen Borodajkewycz und von Haeften
vom September und Oktober1940 mit einem Gedicht für Borodajkewycz’ Sohn zu dessen Taufe (Ebd., Sig.
B1251/76).
120 Interview Ackerl (wie Anm. 27) 25.
121 Siehe Weinzierl, Prüfstand (wie Anm. 97) 71. Zu Seyss-Inquart (1892–1946) siehe Johannes Koll, Arhur
Seyß-Inquart und die deutsche Besatzungspolitik in den Niederlanden (1940–1945) (Wien/Köln/Weimar
2015). Seyss-Inquart absolvierte 1910 die Matura am gleichen Gymnasium im Baden, an dem auch Borodaj-
kewycz maturieren sollte. Johannes Koll danke ich für diesen und andere Hinweise.
122 Siehe die Angaben über Hausdurchsuchungen und Polizei-Untersuchungen oben.
123 ÖStA AR, BMI/GA, 217 R, Taras Borodajkewycz, S. 10, Fragebogen, Rückseite mit Erklärung des W. Babel.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625