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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 567
das wert ist, Gegenstand gemeinschaftlicher Sorge zu sein, für das Bewußtsein, daß auch
die Staaten und Völker in ihrem Tun und Lassen vor Gottes Anlitz stehen.“180
So erscheint es auch als konsequent, dass Borodajkewycz zu den Teilnehmern zählte,
als seit 1943 einige ehemalige Anhänger des Katholisch-Nationalen Kreises wieder aktiv
wurden, dieses Mal aber als inoffizielle Oppositionsgruppe181. Die Gruppe besaß außer
dem Historiker Ludwig Jedlicka keine Verbindung zum österreichischen Widerstand,
hoffte auf die Beseitigung des Hitler-Regimes und unternahm den Versuch, mit Schweizer
Vermittlung Separatverhandlungen mit den Westalliierten aufzunehmen sowie eine Art
Übergangsregierung aus sozialdemokratischen, christlich-sozialen Politikern und ehema-
ligen Funktionären des Ständestaates zu bilden. So sollten für Österreich erträgliche Frie-
densbedingungen ohne sowjetische Besatzung erzielt werden. Die treibende Kraft hinter
diesem vergeblichen Versuch vom Frühling 1945 war Höttl, der neben Glaise-Horstenau
sogar den Chef des RSHA, SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner, für die Sache
gewinnen wollte. Der schnelle sowjetische Vormarsch nach Wien und das Kriegsende
vereitelten eine Mitwirkung dieser Gruppe an einer Nachkriegsordnung in Österreich182.
Welche Rolle Borodajkewycz in dieser Episode spielte bzw. spielen sollte, ist unklar. Hilde
Borodajkewycz erinnerte sich später an eine geplante Reise ins neutrale Ausland mit ei-
nem Separatfriedensangebot während der letzten Wochen des Krieges, die aber nicht
stattfand. Dieses sicherlich gefährliche, abenteuerliche und wohl auch etwas sagenhafte
Unternehmen geriet jedenfalls in Vergessenheit183.
180 Taras Borodajkewycz, Die überstaatlichen Lebensformen in Wirklichkeit und Sehnsucht, in : Die Pause
9 (1944) Heft 8/9, 37f. Dieser Aufsatz soll vom Wiener SD-Leitabschnitt stark kritisiert und von der Partei-
kanzlei als eines der Argumente für Borodajkewycz’ politische Unverlässlichkeit bei der angeblich geplanten
Enthebung von seiner Lehrstelle in Prag angeführt worden sein. Dies gab Borodajkewycz in seinem Schreiben
an die Beschwerdekommission beim Bundesministerium für Inneres vom 19.04.1948 an. ÖStA KA, NL TB,
Sig B1251/128.
181 Zu dieser Gruppe gehörten neben Borodajkewycz und Höttl noch Anton Böhm, der damals als Referent im
Auswärtigen Amt wirkte, der Journalist Karl Anton Prinz Rohan, Ludwig Jedlicka und einige Industrielle wie
etwa Werner Schicht und die Brüder Fritz und Karl-Hermann Westen, siehe General im Zwielicht 3 (wie
Anm. 99) 45.
182 Ebd. 45.
183 Hilde Borodajkewycz erinnerte Mitte der 1980er-Jahre im Zusammenhang mit an Broucek übergegebenen
Briefen von Papens an Borodajkewycz und von Khuens an Mapel Hohenlohe : Beide Briefe standen im Zusam-
menhang mit der vom S.D., d. h. von Dr. Höttl, im Einverständnis und auf Wunsch seiner Dienststelle, gewünsch-
ten Reise meines Mannes ins neutrale Ausland, wo er mit Oberst Christie Verbindung aufnehmen sollte, um ihm
den Vorschlag eines Separatfriedens mit dem Westen, nach Ausschalten Hitlers durch Himmler und seine S.S., zu
machen. Mein Mann vertrat zwar die Auffassung, dass man sich das alles sparen kann, da er die Antwort im Vor-
hinein weiss : bedingungslose Kapitulation, aber andererseits natürlich zu allem bereit ist, was zur Beendigung des
Krieges beitragen könnte. Das mit Papen besprochene Türkei-Projekt schlug fehl. Dafür wurde das Spanien-Projekt
immer konkreter. […] Mein Mann sollte nach Madrid fliegen, ausgestattet mit dem Brief an Hohenlohe, der als
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625