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Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984) 577
sozialistischer Standfestigkeit und fehlender Unabhängigkeit seiner Geschichtsauffassung
vom Katholizismus wurde nun jede seine Ernennung zum Professor entschieden abge-
lehnt220. Nach diesem Urteil der Partei entschied sich das Reichministerium für Wissen-
schaft, Erziehung und Volksbildung am 27. Juli 1943, die Ernennung Borodajkewycz’
zurückzustellen221. Bis Kriegsende sollte sich daran nichts ändern, sodass Borodajkewycz
seinen Lehrstuhl nur vertretungsweise innehatte. Sein Prager Kollege, Anton Ernstberger,
gab jedoch nach einem Jahr eine im nationalsozialistischen Sinne eindeutig positive Be-
gutachtung wissenschaftlicher Arbeiten Borodajkewycz’ ab222. Der Dekan der Philosophi-
schen Fakultät versuchte im August 1944 vergeblich, die schwelende Angelegenheit des
Extraordinariats wieder zu forcieren. An seinem Versuch ist bemerkenswert, dass er zwar
Borodajkewycz verteidigte, zugleich aber nicht vergaß, auf den seinerzeitigen Vorschlag
der Fakultät hinzuweisen, in dem an erster Stelle Valjavec gestanden hatte und auf dessen
Ernennung die Fakultät anscheinend immer noch großen Wert legte223.
Unter diesen Umständen gestaltete sich Borodajkewycz’ Position in Prag wenig güns-
tig. Der Prager SD reihte ihn unter jene Hochschullehrer ein, die von Aussprachen über
volkspolitische[n] Fragen auszuschließen waren, da gegen sie ideologische Bedenken be-
Eindruck zu schinden und seine natürlichen Gegner durch überlegene Dialektik --- oft genug fehlt das Wissen um
die Praxis des echten Katholen ! --- mundtot zu machen.
220 Ebd., Vertrauliches Schreiben Erxlebens an die Partei-Kanzlei vom 04.06.1943 : Es ist eine persönliche Eigenart
B.’s, sich hierbei nach mehreren Seiten hin als liebenswürdig und entgegenkommend zu zeigen. Dies scheint der
Grund dafür gewesen zu sein, daß er auch vielfach von Nationalsozialisten für entgegenkommend und aufge-
schlossen gehalten wurde. Hierin einen Beweis für Anzeichen einer nationalsozialistischen Grundhaltung zu sehen,
halten wir jedoch für völlig verfehlt. Man wird von B. vielleicht keine Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus
erwarten können ; ehe er aber nicht eine Arbeit vorgelegt hat, die von einer unabhängigen Geschichtsauffassung
zeugt, können wir unsere Bedenken gegen seine Ernennung nicht zurückstellen.
221 General im Zwielicht. Bd. 3. (wie Anm. 99) 45. Broucek verwendete in Berlin verwahrte Dokumente (aus
dem ehemaligen BDC), die mir nicht bekannt sind. Er kennt auch eine andere – in der Argumentation aber
sehr ähnliche – Beurteilung aus der Feder eines SS-Hauptsturmführers Schlau aus dem SD-Leitabschnitt
Wien vom 25.06.1942.
222 ÖStA/HHStA, AdR, BMI/GA, S. 59–61, Abschrift des Gutachtens Ernstbergers vom 21.07.1944 : In den
hier vorliegenden Quellenwerken, Abhandlungen, Aufsätzen und Vorträgen ist von einer „klerikalen“ Geschichts-
auffassung nichts zu finden. Hier geht es im Rahmen geschichtlichen Geschehens überall um Fragen völkischen
Ringens und völkischer Ziele, und diese Fragen werden so behandelt, dass von ihnen aus der Verdacht einer anderen
als der völkischen Grundauffassung nicht entstehen kann. [/] Richtig ist, dass [er] sich in früheren historischen
Arbeiten mit Stoffgebieten befasst hat, bei denen eine Beschäftigung mit dem Fragen- und Problemkreis um Chris-
tentum und katholische Kirche unausweichlich war. Nirgends aber scheint auch hier die Person des Forschers vom
Gegenstand der Forschung anders bestimmt worden zu sein als zum Streben nach Erkenntnis der historischen
Wahrheit. Dieses Gutachten wurde anonym dem Schreiben des Dekans an das Reichsministerium beigelegt.
Vgl. Konrád, Dějepisectví (wie Anm. 189) 257.
223 AUK, Philosophische Fakultät, PA Borodajkewycz, Schreiben des Dekans Edmund Schneeweis vom
01.08.1944.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625